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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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abzuschlagen, das geschah schon rechtens…«
     Anora legte ihre Hand auf die seine. »Es muß schlimm gewesen sein«, sagte sie.
     Nasreddin lächelte ob ihrer naiven Bemerkung. »Das Risiko war uns jederzeit bewußt«, sagte er.
    Sie schwiegen eine lange Weile.
     Dann fragte Anora zaghaft: »Wie war er wirklich, dieser Timurlenk, Tamerlan, der, dem man unaussprechliche Greueltaten nachsagt?«
    Nasreddin lächelte abermals. »Ich befand mich vier Monde an seinem Hof…« Er sprach langsam, als müsse er sich besinnen. »In dieser Zeit habe ich ihn vier- oder fünfmal gesehen, weniges mit ihm gesprochen. Gleich am Anfang durfte ich mehrere Stunden bei ihm sein.« Er machte eine Pause. »Er war sehr grausam«, fügte er hinzu, »seinen Feinden gegenüber oder denjenigen, die er für seine Feinde hielt. Weißt du, er befand sich in einem ständigen Zustand des Wachens, des Mißtrauens, verständlich – aber ihr könnt euch das wohl kaum vorstellen –, wenn man von Kriechlingen und Schranzen umgeben ist, ständig in Gefahr, im Spiel der Ränke zugrunde zu gehen. Viele der Greuel sind wohl auch, um sich bei ihm wohlgefällig zu machen, in seinem Namen verübt worden.
     In seiner Familie aber war er eher weich. Er gab viel auf den Rat seiner Mutter, und sein Erstgeborener stand in höchster Gunst. Und dennoch. Ich habe gezittert, als ich das erstemal seiner ansichtig wurde. Nicht vor seinem Nimbus, seinem Ruf oder Ruhm. Es ging etwas von ihm aus, was bezwang, was niederwarf. Ich weiß nicht, war es Weisheit, Hochmut, sein häßliches Äußeres, die stechenden Augen, seine Haltung, die Unmöglichkeit, seine Reaktionen vorauszusehen. Vielleicht war es ein Gemisch von alldem, das ausstrahlte. Man mußte sehr auf der Hut sein, wenn man mit ihm sprach – wohlgemerkt, sprach, nicht nur die Wünsche des Herrschers entgegennahm. Stufte er jemanden als Dummkopf ein oder als begriffsstutzig, fiel jener oft tief, und der Hohn der Schranzen konnte tödlich werden.«
     Über der Tür zum Cockpit flammte Leuchtschrift auf, die zum Anschnallen aufforderte. Gleichzeitig sagte eine verzerrte Stimme, daß die Maschine nun bald in Samarkand landen werde.
    Nasreddin sah ungläubig nach unten. In der Tat hatte sich der Charakter der Landschaft verändert. Die Wüste hatten graugrüne Hügel abgelöst, dann begannen wieder Felder, Baumwollfelder, durchzogen von Kanälen und Wegen, aus der Höhe wie mit dem Lineal gezeichnet. Hier werden die fünfhundert Jahre deutlich, dachte Nasreddin. Er verglich noch immer mit seiner durch das Erinnern bildhaft deutlichen Karawanenreise. Wenn ich dagegen an den Basar von Chiwa denke… Als wäre die Zeit ein großer Fluß, in dessen Mitte die Wasser strömend drängen, an den Ufern jedoch, verfangen in Wurzeln und Gräsern, auf der Stelle in Wirbeln drehend nicht fortkommen…
     Am Fliegen hatte Nasreddin Gefallen gefunden. Schon wollte er sich über sich selbst lustig machen ob seiner anfänglichen Furcht, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Und da mußte er doch feststellen, daß er offenbar noch nicht gänzlich über den Angstberg hinweg war, denn als es durch Luftlöcher ging, die Maschine leicht schlingerte, absackte und er spürte, wie sich der Magen anhob, pries er insgeheim die Vorzüge eines gemächlich dahinschwankenden Kamels.
     Aus dem Meer der altstädtischen Dächer leuchteten die Kuppeln des Registan und des Gur-Emir, des Grabmals des Erhabenen – von Anora zurückhaltend beschrieben.
     Nasreddin, verwirrt von der Größe der Stadt, den wechselnden Ansichten durch den Kurvenflug des Aeroplans, nahm in sich auf, was sein armer Kopf zu fassen vermochte. Zu seinen Füßen Samarkand, die Erhabene, ein Name, den einst keiner ohne Furcht auszusprechen wagte, weil diese Stätte, so sehr verbunden mit dem Namen des Gefürchteten, allzuoft Tod und Verderben ausbrütete, weil von hier aus die Schlächterscharen in die bekannte Welt zogen. Samarkand aber auch, die Liebliche, Strahlende, die sich Schmückende, wenn er, der Große, siegreich durch die Wüste nahte.
     Und ich bin hier, dachte Nasreddin, und ihm war froh wie selten zumute, und ich habe nichts zu fürchten, anders als damals, als ich nicht wußte, wie er mich aufnehmen, mit mir umspringen würde. Und Nasreddin empfand, daß es ein gutes Gefühl war, mit dem er diesmal Samarkand betreten würde.
    Später, als sie in einem Taxi der Stadt zufuhren und Anora ihn fragte, wo er zuerst hinwolle, antwortete Nasreddin mit einem

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