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Der Geist des Nasredin Effendi

Der Geist des Nasredin Effendi

Titel: Der Geist des Nasredin Effendi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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und ihn auch aus seinem Kopf zu bannen, sich mit dem, was gekommen war, abzufinden.
     Und seine Haltung zur Welt? Darüber wurde er sich so schnell nicht schlüssig. Er hatte wohl gespürt, daß er Anora mit seiner Reaktion überrascht hatte. Was wird sie wohl erwartet haben? Aber sie ist nicht in mich gedrungen, hat mich so akzeptiert. Also warum sollte nicht alles so bleiben? Wir beide wissen voneinander, genügt das nicht? Wird sie ein solches Geheimnis ertragen? Ich könnte es bestimmt. Na, und daß ich vielen Leuten gesagt habe, ich sei der echte Nasreddin, werden sie ebenso schnell, wie es mir herauskam, vergessen. Nennen sie Igor Josephowitsch Barswili, meinen Stubenkollegen, nicht auch so – wenngleich es nach dem Schafessen um ihn etwas ruhiger geworden ist? Nasreddin, der echte, hat ihm ein wenig den Wind aus den Segeln genommen. Und jedesmal, wenn jener auftrumpfen möchte, sagt man ihm irgendeinen Satz, in dem Heuschrecken vorkommen. Also ich weiß, wer und was ich war; was ich bin, werde ich noch sehen. Aber das genügt.
    Wird es aber auch jener schönen Anora genügen? Ich kann mir schon denken, was sie interessiert. Wenn sie studiert hat, gleichsam ein Chodscha für alte Zeiten ist, dann wird es für sie interessant sein, mit einem zu sprechen, der diese alten Zeiten kennt oder Teile davon, der persönlich mit Timur dem Großen gesprochen hat, und nicht nur einmal. Ich könnte ihr erzählen, was in keinem Buch steht, wie wir gelebt haben, was wir täglich gemacht haben. Woher sollte sie das wissen. So schnell findet sie keinen Augenzeugen wieder. Nicht immer sind alte. Köpfe so erhalten und geben bereitwillig ihren Inhalt preis, überlegte Nasreddin mit einigem Sarkasmus.
    Aber sie wird mich bitten müssen, die Schöne.
     Vor der bevorstehenden Begegnung in Buchara hatte Nasreddin Furcht. Aber um keinen Preis würde er darauf verzichten wollen. Was für ein Glück, daß der Vorsitzende sein Versprechen wahr gemacht und ihm ein funkelnagelneues Personaldokument besorgt hatte. Dort stand es schwarz auf hellblau: Nasreddin Nasreddinow, geboren vermutlich 1943, Geburtsort unbekannt. Nasreddin akzeptierte das, obwohl er sich dabei nicht ganz glücklich fühlte. Anora schien mit diesem Verlauf der Dinge sehr zufrieden, denn sie meinte, damit seien alle Voraussetzungen für die Reise nach Buchara erfüllt.
    Nasreddins Verhältnis zum Vorsitzenden war nach diesem Krankenhausbesuch ein unpersönlich-freundliches, aber durchaus nicht etwa ein herzliches. Semjon Semjonowitsch lächelte Nasreddin, wenn sie sich trafen, kurz zu. Sicherlich hätte sich Nasreddin noch lange Gedanken gemacht, woher die plötzliche Wandlung während seines Krankenhausaufenthalts gekommen war, wenn man ihm nicht angedeutet hätte, daß durch Nasreddins Unfall und das zu diesem Zeitpunkt wohl nicht ganz klare Arbeitsrechtsverhältnis – ein Begriff, den sich Nasreddin lang und breit erklären lassen mußte – eine Überprüfung zu erwarten gewesen wäre, in deren Ergebnis der Vorsitzende womöglich einige Federn hätte lassen müssen…

     Wenn auch Nasreddin die Zusammenhänge nicht ganz begriff, beruhigten ihn diese Bemerkungen ungemein, und er hatte fortan keine Gewissensbisse mehr.

    Schon des öfteren hatte Nasreddin Flugzeuge fliegen sehen, später natürlich auch erfahren, daß es sich um moderne Fortbewegungsmaschinen handelte, dennoch konnte er sich lange Zeit nicht vorstellen, daß sich der Mensch wie ein Vogel durch die Luft bewegte. Nun, schließlich hatte er sich wie mit so vielem damit abgefunden.
    Das erste Magenkribbeln dann fühlte er, als Anora ihm mitteilte, daß sie nach Samarkand und Buchara fliegen würden. Das zweitemal kamen ihm Bedenken, schon kräftigere, als sie aus dem Auto stiegen, in das unscheinbare Urgentscher Flughafengebäude gingen und über den niedrigen Zaun hinweg Flugzeuge stehen und weiter entfernt starten und landen sähen. Dieses Bangen wurde übertroffen von jenem, das sich bei Nasreddin einstellte, als sie auf das Flugzeug – eine kleine Jak 40 – zuschritten, die Gangway hochstiegen und sich in die engen Reihen gezwängt hatten. Und schließlich wollte sich ihm fast der Magen umdrehen, als die Triebwerke angelassen wurden, wenig später sich die Maschine in Bewegung setzte und zum Start rollte. Gesteigert wurde das noch, als das Flugzeug am Ende der Startbahn kraftsammelnd die Triebwerke aufheulen ließ, sich wie eine sprungbereite Viper gleichsam aufbäumte und dann wie ein

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