Der Geisterfahrer
vom Tropeninstitut den Bescheid erhalten, Insektenstiche von solcher Größe seien nicht bekannt, und nun hielt ihm sein Patient diesen Unterarm vor die Augen. Der Arzt suchte die ganze Geschwulst nach der durchsichtigsten Stelle ab, durch die er dann lange mit einem Vergrößerungsglas hineinschaute. Während dieser Zeit war es im Sprechzimmer ganz ruhig, sodass man von weit her ertönende Geräusche hörte, die festlich verworren klangen. Ist draußen irgendwo ein Umzug? fragte Herr B., aufmerksam geworden. Nein, sagte der Arzt, der Umzug ist bei Ihnen drinnen. Er drehte den Arm so, dass auch Herr B. die Stelle sehen konnte, und gab ihm das Vergrößerungsglas. Da sah Herr B., wie sich
in seiner Geschwulst eine Menge Leute um eine Blasmusik versammelte, die gerade daran war, sich einzuspielen. Plakate, Fahnen und Transparente waren sichtbar, aber man konnte nicht lesen, was darauf geschrieben stand. Im Hintergrund waren einige Türme zu sehen, ohne dass man erkennen konnte, ob man sich inner- oder außerhalb einer Stadt befand. Manchmal hörte man durch einen Lautsprecher unverständliche Anweisungen, auf die hin aber nichts geschah.
Herr B. ließ das Vergrößerungsglas sinken und fragte leise, ob man diese Geschwulst nicht einfach abschneiden könne. Der Arzt sagte, doch, das werde man nun tun müssen. Er werde ihn morgen früh in seiner Praxis operieren, werde aber vorher noch einen Fotografen kommen lassen, um vom Stich einige Bilder aufzunehmen. Er machte ihm eine reizstillende Spritze und gab ihm die Anweisung, am Abend wenig, am nächsten Morgen gar nichts zu essen.
Als Herr B. wieder zu Hause war, hatte der Lärm in seiner Geschwulst derart zugenommen, dass er sich vor seinen Nachbarn zu genieren begann. Er wickelte ein großes Frottiertuch um seinen Arm, was die Geräusche etwas dämpfte, und stellte sein Radio an. Im Verlauf des Nachmittags musste er es jedoch immer lauter einstellen, und am Abend half auch das nichts mehr. Aus seiner Geschwulst kam nun ein Kreischen, das sich nicht mehr übertönen ließ. Da riss Herr B. das Frottiertuch weg, drehte sein Radio ab und schaute durch die klarste Stelle, um zu sehen, was da drinnen vor sich ging.
Im Innern war der Umzug in voller Bewegung. Die Leute marschierten in Reihen und riefen fremdartige Parolen.
Es schien, als ob sie im Kreis um die Geschwulst herumliefen, jedenfalls konnte Herr B. oben und unten noch weitere Gänge erkennen, in denen sich ebenfalls dichte Massen bewegten. Plötzlich hörte man einen gewaltigen Schrei, worauf sofort alles stehenblieb und ruhig wurde. Darauf folgte ein hektisches Gezeter eines einzelnen, und dann drehten sich die Leute um und blickten nun ihn, B., an. Noch einmal vernahm man die Einzelstimme, und dann rannten alle gegen die Haut seiner Geschwulst an, trampelten sich gegenseitig nieder und pochten mit den Fäusten an die Eiterglasur, verwarfen die Hände, zeigten auf ihn und verursachten dazu ein Geheul, dass es Herrn B. bis ins Gehirn hinein fror.
Jetzt aber ging er in sein Badezimmer, nahm eine Rasierklinge und schnitt sich mit zusammengebissenen Zähnen ein Dreieck aus seiner Geschwulst heraus. Mit einem Aufschrei verschwanden die Massen in einem Gang, der ins Innere der Geschwulst führte, man hörte noch ein Krabbeln, das rasch leiser wurde, und dann war es still. Heraus jetzt! schrie Herr B. in den Tunnel, aber nichts geschah.
Als er sich am andern Morgen beim Arzt zur Operation einfand, war die Geschwulst nur noch eine kleine rundliche Schwellung. Der Fotograf musste nach Hause geschickt werden, der Eingriff war unnötig geworden, Herr B. konnte noch am selben Tag seine geregelte Arbeit wieder aufnehmen, und nach kurzer Zeit war vom Stich nicht mehr das geringste sichtbar.
Die ganze Geschichte kann man sich auch in ein helles, schimmerndes Licht getaucht denken.
Die beiden Männer
W enn ich die Augen schließe, sehe ich zwei Männer, von denen der eine dem andern zu gefallen sucht.
Beide wohnen im selben Hochhaus, der eine, Rechsteiner, im fünfzehnten Stock, der andere, Starck, im zweiten. Rechsteiner ist schön angezogen, trägt modische Hosen, die sich unten ausweiten, geblümte Vestons und bauschige Krawatten, seine Haare sind wellig nach hinten gekämmt und fallen sehr dicht in seinen Nacken, so, dass er unter die Kurzhaarigen als Kurzhaariger und unter die Langhaarigen als Langhaariger gehen kann. Er hat einen federnden Gang und einen gebräunten Teint.
Starck ist bleich, hat etwa die
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