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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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äußerster Mühe konnte zunächst durch tägliche Pflege verhindert werden, dass es sich auch an Glas- und Betonbauten festkrallte, die Verwaltungsgebäude der großen Firmen, die Hotels, die Banken, die Warenhäuser, alle mussten Leute einstellen, die nichts anderes zu tun hatten, als den ganzen Tag Efeu zu schneiden, und im Gefolge des Efeus vermehrten sich auch die andern schlingenden Pflanzen, weißer Knöterich, Clematis, Glyzinien und andere Zierparasiten begannen sich mit dem Efeu zu vermischen und nahmen gemeinsam den Kampf gegen Straßen, Häuser und Unterführungen auf.
    Gleichzeitig entwickelte sich eine zweite Art von Pflanzen zu nie gesehener Größe, und zwar war das alles, was sonst im Sumpf gedeiht, ich weiß nicht, ob Sie Eselshuf
kennen, man sagt auch Pestwurz, diese etwas fleischige Pflanze mit den riesigen Blättern, die sonst in den Bergen entlang von Bächen oder in feuchten Runsen anzutreffen ist, diese Eselshufe sprossen plötzlich aus jedem Rasen, und die Blätter wurden so groß, dass sie ein parkiertes Auto zuzudecken vermochten, Schachtelhalme erreichten Höhen von Birken, und Farne beugten sich von einer Straßenseite auf die andere, aber so, dass man ohne Weiteres noch unten durchgehen konnte. Diese Pflanzen waren bei all ihrer Biegsamkeit so stark, dass sie den andern Pflanzen die Substanz wegzehrten, und in kurzer Zeit verdorrten standhafte Bäume und fingen an, bei Windstößen umzuknicken, sodass heute die Einwohner bei jedem Wetterwechsel in den Häusern bleiben. Wir gehen überhaupt nur noch hinaus, wenn es sein muss, denn man kann sich denken, dass diese Vegetation für Wölfe, Schlangen, Bären und Hirsche förderlicher ist als für den Menschen, und jetzt, da schon viele Straßen stillgelegt sind, weil sie vollständig überwachsen sind und sich die Leute mit Brotmessern und Gerteln einen Pfad heraussäbeln müssen, kann man sich auch viel weniger darauf verlassen, noch gerettet zu werden, wenn man von einem wilden Tier angefallen wird. Deshalb beginnen wir immer mehr, uns selbst zu helfen und auf eigene Faust zu leben, es dauert oft tagelang, bis man wieder etwas von den Behörden vernimmt oder auf eine Polizeistreife trifft. Gleichzeitig mit einem neuen Gefühl für Nachbarschaft, das entsteht, weil alle dringend aufeinander angewiesen sind, entsteht eine neue Form von Räuberei und Freibeutertum, weil kaum noch eine übergeordnete Organisation für ein zuverlässiges
Lebensgefüge sorgen kann, die Leute beginnen sich zu misstrauen, und es kommt vor, dass Menschen, die sich in einem fremden Quartier durch einen Efeupfad kämpfen, von Begleitern eines Kinderzuges abgeschossen werden. Jetzt geht es gegen den Herbst zu, und niemand weiß, wie es weitergehen soll. Von den wenigen Zügen, die auf den mittleren Geleisen des Hauptbahnhofs noch verkehren können, sind die abfahrenden stets vollbesetzt, die Gepäckwagen überquellen von Koffern und zugeschnürten Säcken, während mit den einfahrenden Zügen kaum noch jemand ankommt. An den Autobahnen werden nur noch diejenigen Zufahrten freigehalten, die zur Stadt hinausführen, die Einfahrten sind längstens unter metertiefem Grün begraben.
    Allgemein erhofft man sich mit dem Verwelken der Pflanzen einen Rückgang ihres Wachstums und plant eine große Abholzungs- und Ausrottungsaktion, an deren Erfolg ich aber zweifle. Von Anfang an erwiesen sich die in fast nicht mehr verantwortbaren Mengen eingesetzten Herbizide als wirkungslos, Efeu bleibt auch im Winter grün, und bereits ist festzustellen, dass der Stängel der Schachtelhalme nicht mehr weich und knickbar ist, sondern mehr und mehr den Charakter einer Baumrinde annimmt. Überhaupt ist fraglich, wie sich der Winter anlassen wird. Schon der vergangene brachte ungewöhnlich große Schneemassen, und mein Heizöltank ist nur noch zu einem Viertel gefüllt, weil der Tankwagen auf unserer Straße nicht mehr durchkommt, jedenfalls habe ich unseren Birnbaum, der neben einem Riesenfarn zusammenstürzte, zersägt und bin bereit, die kalten Tage mit der Familie
in meinem Arbeitszimmer zu verbringen, wo der einzige Holzofen des Hauses steht.
    Wenn ich zum Fenster dieses Arbeitszimmers hinausschaue, sehe ich zwischen den Spitzen der Schachtelhalme hindurch immer noch die Steinadler auf dem Nachbardach abfliegen und ankommen und ihren arg krähenden Jungen irgendein noch halb zuckendes Fleischstück zerkleinern und in die Schnäbel drücken, während das Hotel International wie ein

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