Der Geisterfahrer
hatte sie in einem Warenhaus günstige Zeichenblöcke mit hundert Blatt gekauft, die etwas größer waren als das A4-Format.
Beim nächsten derartigen Kauf erhielt sie nun einen ungewöhnlich scharfen Verweis ihres Mannes. Eine überflüssige Ausgabe, sagte er, sei das, sie hätten nun gewiss genug Papier zum Zeichnen. Auch die Größe sei durchaus hinreichend, ein A4-Blatt genüge doch wohl zur Selbstverwirklichung des Kindes. Die Bemerkung der Frau, es sei nicht schön, wenn man von der Rückseite her irgendeinen
Text durchschimmern sehe, mit unterstrichenen Stellen womöglich, veranlasste ihn zur Entgegnung, das Zeichnen selbst erfolge ja auf einer Unterlage, wo nichts durchschimmere, und wenn die Zeichnung fertig sei, brauche man sie nicht noch gegen das Licht zu halten. Einzig als sie sagte, die Kinder hätten gern diese Blöcke, bei denen die Blätter zusammenhingen und nachher nicht lose herumflatterten, stutzte er und sagte, ja, das sei wahr, man habe so auch eine bessere Ordnung in den Zeichnungen. Ein paar Tage später zeigte er seiner Frau mit großer Freude, wie man aus Restpapier einen Block machen konnte, indem man die oberen Kanten bündig zusammenpresste und mit Leim überstrich. Er schenkte jeder seiner Töchter einen selbst geklebten Block mit Papieren in verschiedenen Farben und Stärken, mit zum Teil matten, zum Teil glänzenden Oberflächen, je nachdem ob es Werbezettel für Schuhverkäufe oder Emissionsprospekte von Obligationen waren. Den Mädchen gefiel es aber nicht, dass man, wenn man ein Blatt umschlug, etwas Gedrucktes sah, denn wenn man eine neue Zeichnung machte, lag ja die Rückseite der alten Zeichnung daneben, und dieses Gedruckte, sagten sie, störe sie, sie konnten auch nicht mehr, wie sie das bei Zeichenblöcken häufig getan hatten, etwas zeichnen, das über zwei Seiten ging, zum Beispiel einen sehr langen Löwen oder ein Krokodil.
Doch der Vater blieb dabei, dass er kein Geld mehr für neue Zeichenblöcke zur Verfügung stelle, es sei auch eine Übung, wenn man lerne, sich in einen vorgegebenen Rahmen zu fügen. Zudem wies er daraufhin, dass Papier letztlich aus Bäumen gemacht werde und dass es schon deshalb
immer wichtiger werde, Papier, das nochmals gebraucht werden könne, tatsächlich nochmals zu brauchen.
Diese Einsicht setzte er immer unerbittlicher in die Tat um. Drucksachen kamen gewöhnlich in einem Umschlag, der nicht zugeklebt war, sondern dessen Lasche man eingesteckt hatte, die gummierte Fläche zum Zukleben war also noch verwendbar. So begann er, wenn er einen Brief zu verschicken hatte, alte Drucksachencouverts zu benützen, indem er die an ihn gerichtete Anschrift mit einer Aufklebeadresse überdeckte, auf die er den neuen Empfänger schrieb. Es ging nicht lange, bis er auch den Kauf von Aufklebeadressen einstellte. Gab es nicht genug Briefumschläge, deren Rückseite ganz leer war, bei denen man also lediglich, nachdem man sie unten ebenfalls aufgetrennt hatte, die Verstärkungen auf den beiden Seiten und den meist selbstklebenden Verschlussteil wegschneiden musste, und schon hatte man die schönsten Papiervierecke, über die man nur noch mit einem Leimstift fahren musste, damit man sie als Aufklebeadressen brauchen konnte? Auch für die länglichen Briefumschläge, die beim Zerschneiden viel schmalere Streifen ergaben, hatte er eine Verwendung. Diese benutzte er, um Zugverbindungen aus dem Fahrplan herauszuschreiben, wenn er mit seiner Familie auf einen Sonntagsausflug ging. Für diese schmalen Blätter hatte er sich auch einen Extrabehälter angefertigt, aus einer alten Badedas-Schachtel, die er direkt neben den Fahrplan legte. Gleich daneben übrigens hatte er eine Schachtel mit verschiedenen Formaten für Kleinnotizen aller Art in der Nähe des Schreibtisches. Gerade beim Zerschneiden von Briefcouverts gab es ja doch immer leicht
voneinander abweichende Größen, und die legte er zur freien Verfügung in eine offene Schachtel. Das Öffnen der Post war bei ihm zu einem Vorgang geworden, der immer weniger mit dem Inhalt der Briefe zu tun hatte, sondern eher dem Zerlegen und Entgräten eines Fisches glich.
Die so gewonnenen Blätter gab er zwar her, aber er wollte immer wissen, zu welchem Zweck. Als er einmal die Mädchen dabei ertappte, wie sie Dutzende von Notizzetteln einfach mit sinnlosem Zeug vollkritzelten und jubelnd im Kinderzimmer herumwarfen, redete er ihnen lange ins Gewissen, um ihnen klarzumachen, dass man mit wieder verwertetem Papier ebenso
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