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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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Unterschrift standen,
stießen sie eher ab. Sie sah aber sofort, dass ihrem Mann sehr viel an dieser neuen Einrichtung lag und dass er sie als echten Beitrag zum Haushaltsgeschehen auffasste, und da er sich sonst sehr wenig um den Alltagsablauf kümmerte, ließ sie ihm die Freude und dachte, er gehe dann vielleicht auch einmal einkaufen.
    Das war aber nicht der Fall. Es mehrten sich bloß die kleinen Eintragungen von der Hand des Mannes auf den selbstgeschnittenen Einkaufszetteln. Griff die Frau nach einem solchen Zettelchen, um sich aufzuschreiben, was sie auf dem Markt kaufen wollte, stand etwa zuoberst schon »Watte«. Die Frau spürte nun einen deutlichen Widerwillen, unter dieses Wort einfach »Tomaten« oder »Zitronen« zu schreiben und nahm lieber einen zweiten Zettel, auf den sie ihre eigenen Notizen machte. Kam aber am Abend ihr Mann in die Küche, fragte er unweigerlich: »So, hast du die Watte?« Und wenn sie »ja« sagte, fragte er mit einem raschen Blick auf das Schächtelchen: »Hast du den Zettel nicht gebraucht?« – »Nein, ich habe einen neuen gemacht«, sagte die Frau, und dann warf er den alten nicht etwa weg, sondern nahm den Bleistift, der stets daneben lag und strich das Wort »Watte« durch. So konnte man den Zettel noch einmal brauchen.
    Die Familie aß in der Küche, es war eine Wohnküche, und der Sitzplatz des Vaters war vor dem Küchenschrank, der durch einen Sims sozusagen in zwei Etagen unterteilt war. Auf diesem Sims hatte früher das herzförmige Kalenderchen gelegen, und jetzt lag dort das Schächtelchen mit dem selbst geschnittenen Notizpapier. Sobald nun der Vater während des Essens merkte, dass etwas auszugehen
drohte oder gar schon fehlte, drehte er sich mit einem kleinen Ruck um und notierte es auf das oberste Zettelchen, »Aromat« oder »Senf« oder »Süßmost«.
    Die Frau ärgerte sich immer ein bisschen, wenn er sich während des Essens zum Schrank umdrehte, sie misstraute auch schon dem Blick ihres Mannes, wenn er über den Tisch und die Getränkeecke glitt, denn schließlich war jede Notiz auch ein kleiner Vorwurf an die Haushaltführung. In einem perfekt geführten Haushalt fehlt nie etwas. Das alles hatte aber nicht etwa zur Folge, dass sie von nun an besser vorausplante, sondern zu ihrem eigenen Erstaunen ließ sie sogar absichtlich gewisse Dinge ausgehen.
    Die beiden Mädchen, zehn und acht Jahre alt, freuten sich übrigens über diese Zettelchen. Sie mussten immer am Tisch bleiben, bis alle zu Ende gegessen hatten, und meistens waren sie früher fertig als die Eltern. Sie griffen dann nach einem solchen Zettelchen und zeichneten etwas Kleines darauf, das war erlaubt. Manchmal, wenn sie etwas genau erklärt haben wollten, zeichnete ihnen auch der Vater oder die Mutter etwas auf. Als es allerdings ein paar Mal vorgekommen war, dass der Bleistift nicht mehr neben dem Notizblattschächtelchen lag, stach der Vater mit dem Brieföffner ein Loch in den Schachtelrand, klebte ein paar Verstärkungsringe darum und band den Bleistift, um den er kurz vor dem hinteren Ende eine Vertiefung gekerbt hatte, mit einem Zwirnfaden daran fest. Nun mussten die Mädchen, wenn sie etwas zeichnen wollten, ihre eigenen Blei- oder Farbstifte mitbringen, oder sie mussten sich hinter den Vater an den Schranksims drängen, was meistens Streit gab und für den Vater, der noch aß, auch
ohne Streit unangenehm war, sodass die Mädchen nach einer Weile ganz aufhörten, die Blättchen zum Zeichnen zu benützen. Ein beliebtes Spiel war es aber, die Viertelsblätter wieder zu einem ganzen Blatt zusammenzusetzen. Dafür suchten sie sich vor allem die farbigen Reklameblätter heraus. Die Frau hatte nämlich angefangen, einseitig bedruckte Blätter aus Wurfsendungen zu vierteln und unter die andern Blätter zu mischen, damit das trostlose Weiß der hektografierten Blätter etwas durchbrochen wurde. Die Begeisterung ihres Mannes über diese Maßnahme milderte ihren Eifer wieder ein bisschen, und als ihr Mann selbst die Wurfsendungen nach einseitig bedruckten Blättern durchmusterte, ließ sie es wieder bleiben.
    Öfters gab es natürlich auch Blätter, die ungefaltet ins Haus kamen, und die begann der Vater nun als Zeichenpapier für die Mädchen aufzubewahren. Die Mädchen zeichneten sehr gern und viel, und die Mutter hatte immer darauf geachtet, dass sie gutes Papier und gute Farbstifte hatten, weil sie es wichtig fand, dass sich die Kinder auf diese Weise ausdrücken und entfalten konnten. Meistens

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