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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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sparsam umzugehen hatte wie mit neuem.
    Auch an seinem Arbeitsplatz hatte er natürlich schon längst das System des billigen Notizpapiers eingeführt. Da dort der Anfall an einseitig bedrucktem Papier bedeutend größer war, waren die Vorräte schon bald auf ein Maß gestiegen, das eine weitere Aufstockung unnötig machte; inzwischen war ihm aber der Gedanke, Papier wegzuwerfen, unerträglich geworden, sodass er begann, Abfallpapier und Briefumschläge aus dem Spital mit nach Hause zu nehmen und dort weiter zu bearbeiten, eine Beschäftigung, für die er sich oft den ganzen Samstag Zeit nahm. Er setzte sich dann mit Brieföffner, Schere und Papierkorb an den Stubentisch und gab sich ganz der Tätigkeit des Auftrennens, Schneidens, Schnipselns und Sortierens hin; auf Störungen war er sehr empfindlich.
    Zugleich mit dem Anwachsen der Notizpapiervorräte wuchs aber seine Fähigkeit, die Dinge im Kopf zu behalten,
die er sich notierte. Wenn er also auf einen seiner verschieden großen Zettel schrieb
    17 h
Alfred tel.
    und ihn neben das Telefon legte, dann stand ihm schon derart klar vor Augen, dass er Alfred anrufen wollte, dass er den Zettel ebenso gut hätte wegwerfen können, und auch dass er das erst um 17 Uhr, zur Zeit des Niedertarifs machen würde, bedurfte bei seiner Sparsamkeit keiner schriftlichen Stütze. Er ahnte langsam, dass er in seinem Leben nie so viel Notizpapier brauchen konnte, wie er anhäufte, hörte aber deshalb mit dem Anhäufen nicht auf, sondern war doppelt froh um jede Gelegenheit, Notizpapier tatsächlich zu verwenden, was zum Beispiel beim Jassen mit der Familie möglich war. Dass für das Aufschreiben der Resultate eigentlich eine schöne Schiefertafel zur Verfügung stand mit einem Satz Kreiden in Kreidenhaltern, wollte er nicht wahrhaben, er ging sogar so weit, deren Gebrauch so lange zu verbieten, bis das Notizpapier aufgebraucht sei. Dafür gab es allerdings immer weniger Hoffnung, denn die einzige Person, die auf ein bisschen Notizpapier angewiesen war, war seine Frau beim Zusammenstellen ihrer Einkäufe.
    Sie hatte ihrerseits die Gewohnheit entwickelt, jedes Papierchen, das sie beschreiben wollte, zuerst umzudrehen und den Text auf der Rückseite zu lesen oder das, was von diesem Text noch übrig war, also Mitteilungen wie
    entsprechende
Sammelausweise
    Fr.
     
    (sollten Sie sich für diese Die wir Sie, uns den mitfolgenden Sc zurückzusenden. Wir sind überzwertung beim Ausfüllen des Wer Dienste leistet. – Für weitere A zeit gerne zur Verfügung.
    Mi
     
    Beilage
1 Talon
    oder
    TEN – OSTEREIERAUSSTELLUNG
    für Schulen
    n mit Stoffresten
    (10–12 und 14–17 Uhr)
    Zu diesen Texten dachte sie sich immer etwas. Sie versuchte sich etwa einen Moment lang entsprechende Sammelausweise vorzustellen, und durch die Zerrissenheit der Nachricht erschien ihr etwas wie das »Ausfüllen des Wer« als besonders nutzlose Beschäftigung. Wenn sie »Für weitere A zeit gerne zur Verfügung« las, sah sie im Hintergrund verschwommen ihren Mann am Bürotisch der Spitalverwaltung sitzen und steinern lächeln, während sie die
Vorstellung von ganzen Schulklassen mit Stoffresten unvermutet zu Tränen rühren konnte.
    Als sich nun aber Blätter darunter zu mischen begannen mit Inhalten wie
    Schlüsselzahlen
     
    Erster Arztbericht
     
    Zahnformular
     
    Art der Verletzungen
    (max. 20 Schreibmasch.zeichen)
     
    Angef. Prothesen
    brachte sie es nicht mehr fertig, auf die Rückseite einfach »Corn Flakes« und »Geschnetzeltes« zu schreiben, als ob nichts wäre. Sie kaufte sich in einem Warenhaus für 80 Rappen einen neuen Notizblock, den sie sorgfältig in einem Außenfach ihrer Einkaufstasche verwahrte. Mit großer Erleichterung schrieb sie ihre Liste wieder auf frische, nur zu diesem Zweck hergestellte Zettelchen und zerknüllte dafür jedes Mal ein Wiederverwertungspapier ihres Mannes.
    Der Moment der Entdeckung war fürchterlich und unausweichlich. Der Mann hatte angefangen, überall nach möglichem Notizpapier zu spähen. Da er schon so weit war, dass er selbst Innenseiten von Schokoladeumschlägen sammelte und auch Reisschachteln und Suppenkartons
zerschnitt (die Längsseiten waren hervorragend für Zugverbindungen geeignet, die man unverstärkt in die Rucksacktasche stecken konnte), durchsuchte er gelegentlich auch den Abfallkübel, und als er dort mehrere zusammengedrückte Notizpapiere fand, die sich beim Auseinanderfalten als leer erwiesen, kam in ihm ein Verdacht hoch. Er war davon

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