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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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entschlossen: »Liebe Maria, ich habe nicht den geringsten Grund, etwas derart Idiotisches zu tun. Warum tut es niemand von Ihnen?«
    »Der Verdacht«, sagte Maria, »würde sofort auf uns fallen. Wir und zwei, drei andere sind die Einzigen, die so etwas tun würden. Deshalb müssen wir zur Zeit der Explosion gesehen werden.«
    »Wie lange brennt denn die Zündschnur?«, fragte der Cellist, halb amüsiert, halb fasziniert.
    »Drei Minuten«, sagte Maria.
    »Wissen Sie eigentlich, dass ich Musiker bin?«, fragte der Cellist, ohne die Antwort abzuwarten. »Ich bin Cellist eines Streichquartetts, ich lebe davon, dass ich Musik spiele, Musik von Komponisten, von Beethoven, von Borodin, von Bartók, und Sie erwarten von mir, ausgerechnet von mir, dass ich einen alten Dichter in die Luft sprenge, ich, ein Dienstuntauglicher, dem alles Militärische fremd ist, nur aus irgend welchen diffusen Rachegründen, die ich nicht einmal genau kenne, die jedenfalls mit mir nichts zu tun haben. Musik sollte versöhnen, Minderheiten müssen sich näherkommen, wir sollten doch … wir sollten lieben,
nicht hassen, wir – gut, ich werde es tun.« Getroffen von seinem letzten Satz stand er da. Er hatte ihn nicht gesagt, er hatte ihn sich sagen gehört. Und im selben Moment wusste er, dass er es tun würde. Warum, wusste er nicht, alles sprach dagegen, wirklich alles, aber er würde es tun.
    Maria umarmte ihn und gab ihm einen langen und tiefen Kuss, der ihn der Auflösung nahebrachte. Dann sagte sie plötzlich: »Ich vergaß zu sagen, wir werden Sie bezahlen. Gut bezahlen.« Und sie öffnete die Schublade des Tischchens, auf welches sie das Bahnbillett gelegt hatte.
    »Nein«, sagte der Cellist, »niemals.«
    Maria küsste ihn noch einmal.
    »Jetzt müssen Sie gehen«, sagte sie, »passen Sie gut auf sich auf.«
    Der Cellist zog die Stiefel an und hängte die Haltebänder an seinem Gürtel ein, er zog sich den Südwester über, setzte sich den Hut auf den Kopf und schnürte die Bändel unter seinem Kinn zu, steckte die Taschenlampe und das Feuerzeug ein, nahm den Geigenkasten sorgfältig am Griff in die Hand und ging mit Maria die Treppe hinunter.
    »Sieht uns niemand?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie, »das Haus gehört uns allein.«
    »Und das Haus, bei dem ich herauskomme?«
    »Ebenfalls«, sagte sie.
    Er stand vor dem Kanalisationsloch, der Deckel war bereits zur Seite geschoben.
    »Wer wird ihn schließen?«, fragte er.
    »Ich«, sagte Maria, »ich bin stark.«
    »Auf Wiedersehn«, sagte der Cellist und begann sorgfältig die Sprossen hinunterzusteigen.

    »Auf Wiedersehn«, sagte Maria.
    Der Cellist stand unten in einer nassstinkenden Rinne. Er knipste die Taschenlampe an und schaute noch einmal hinauf. »Ich liebe Sie«, sagte er zu Maria und begann dann vorsichtig der Richtung des fließenden Wassers nachzugehen, leicht gebückt, der Kanal war sehr eng. Die Beschreibung Marias erwies sich als zuverlässig. Die Seitenkanäle mündeten ein, einer nach dem andern, jeder mit etwas mehr Schmutzwasser, sodass er zuletzt nicht mehr am Boden der Rinne gehen konnte, sondern breitbeinig auf den beiden glitschigen Borden lief und ab und zu eine Ratte aufscheuchte, was er mit ordentlichem Ekel zur Kenntnis nahm, auch der Geruch war übel, aber es machte ihm eigenartig wenig aus. Mit großer Leichtigkeit bog er in den vierten Kanal ab, fand den Abflussdeckel ohne Mühe, stieg die paar Sprossen hoch, oben rührte sich nichts, der Schatten, den man sah, musste vom Denkmal kommen, er hängte den Haken an den Griff des Geigenkastens, wickelte dann die Zündschnur ab, sodass sie frei im Schacht hing, nahm das Feuerzeug und zündete sie an. Als er sicher war, dass sie brannte und er sah, dass sich die Glut langsam nach oben fraß, ging er ohne zu hetzen wieder in den Hauptkanal zurück, ging weiter in der Richtung des Wassers und fand den Schacht mit dem offenen Kanaldeckel. Als er auf den Sprossen stand, wurde er durch die Wucht der Detonation fast nach oben gehoben. Er stieg aus, schob den Deckel mit großer Anstrengung auf seinen Platz, zog Hut, Mantel und Stiefel aus und legte sie in den Abfallsack, der unter dem Arkadengang des Innenhofs bereitstand. Er schnürte ihn zu, nahm den Schlüssel aus seiner
Tasche, öffnete die Türe, schloss sie wieder und stand in einem kleinen, menschenleeren Gässchen. Nach kurzer Zeit war er in einer Straße, die er wieder erkannte und machte sich auf den Weg zu seinem Hotel.
    Als er zum Walther-Platz kam,

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