Der Geisterfahrer
Peitsche geschwungen und dazu lachend nach hinten geschaut. Der Chauffeur sei sofort auf die Bremse getreten, und sie seien erst wieder erwacht, als man sie aus dem Bus herausgezogen habe.
Als dies bekannt wurde, meldete sich die Sagensammlerin, eine ältere Lehrerin mit einem lebendigen Blick, erneut bei der Polizeidirektion und bat, die Kinder im Beisein des Untersuchungsrichters ebenfalls befragen zu dürfen. Ob sie denn die Geschichte dieser Kleinen glaube, fragte sie der Polizeidirektor. Selbstverständlich, sagte die Lehrerin, sie hätte übrigens schon vor einem Jahr auf diese Möglichkeit hingewiesen. Der Polizeidirektor arrangierte einen Termin mit der Frau und den beiden Kindern, bei dem auch er und der Untersuchungsrichter zugegen waren.
Die Sagensammlerin fand sofort den richtigen Ton mit den Kindern, es waren zwei Brüder im Alter von neun und sieben Jahren, sie ließ sie das Ganze nochmals erzählen, und als sie dann die beiden vorsichtig fragte, ob eigentlich auch etwas auf diesem Heuwagen gewesen sei, sagte der ältere, der Heuwagen sei leer gewesen, und er habe vor allem auf den Mann geschaut und auf seinen verrückten Blick. Der jüngere sagte nichts, aber als ihn die Lehrerin noch einmal fragte, sagte er, doch, er habe auch auf den Wagen geschaut, und auf dem Wagen sei etwas gelegen, ein Stein. Was für ein Stein? Wie ein Grabstein, sagte der jüngere.
Die Lehrerin nahm nun ein Foto hervor und zeigte es dem Buben: »War es der?« – »Ja«, sagte der Bub, »der war es.« Es war das Foto eines alten Marksteines, der auf der linken oberen Seite ein Loch hatte.
Vermutet hätte sie es gleich, sagte die Sagensammlerin, dass der Roggenbauer wieder umgehe, aber jetzt wisse sie es. Diese Spukgestalt des letzten Jahrhunderts sei so lange erschienen, bis man den Stein wieder auf seinen rechten Platz gesetzt hätte, die Grenze zwischen den Dünnerenäckern und dem Kestenholzer Feld, von dann an sei er nicht mehr gekommen. Beim Bau der Autobahn habe dann dieser Markstein weichen müssen, das Historische Museum Olten habe sich dafür interessiert, und dort könne man ihn besichtigen. Den genauen Ort zu bestimmen, wo der Grenzstein vor dem Straßenbau gestanden habe, überlasse sie den Ingenieuren, sie aber sei überzeugt, dass der Roggenbauer seit der Eröffnung der Autobahn versuche, den Stein wieder an seinen alten Platz zu stellen, und dass alle verunglückten Autos versucht hätten, ihm auszuweichen.
Der Polizeidirektor war etwas verlegen. »Wir werden der Sache nachgehen«, sagte er schließlich und gab dem Vermessungsamt den Auftrag, auf den Zentimeter genau den alten Standort des Grenzsteines zu lokalisieren.
Es stellte sich heraus, dass er früher exakt unter der heutigen Überholspur Richtung Bern gestanden hatte, wo die Katastergrenze zwischen den Dünnerenäckern und dem Kestenholzer Feld verlief.
Der Polizeidirektor berief nun eine Sitzung mit höheren Beamten ein, zu der er auch die Sagensammlerin kommen ließ.
»Wenn Ihre Annahme stimmt«, sagte der Polizeidirektor, »und tatsächlich die verunglückten Automobilisten dieser Heuwagenerscheinung ausweichen wollten, dann müsste man annehmen, dass es zu weiteren Unglücken kommen wird.«
»Ganz bestimmt«, sagte die Lehrerin.
»Sehen Sie eine Möglichkeit«, fragte der Polizeidirektor, »wie man das verhindern kann?«
»Ja«, sagte die Lehrerin, »man muss den Roggenbauern erlösen.«
Die Anwesenden wurden unruhig, der Polizeidirektor hüstelte.
»Und wie kann man ihn denn erlösen?«, fragte er mit sichtlichem Ekel vor diesem Wort.
Die Sagensammlerin lächelte.
»Indem man den Stein wieder dorthin stellt, wo er hingehört.«
Alle hatten das kommen sehen, trotzdem ging ein Aufstöhnen durch die versammelte Mannschaft.
»Unmöglich! Irrsinn!«, rief ein Bundesbeamter aus Bern, der für den Straßenverkehr zuständig war, »die Autobahn umbauen wegen eines alten Grenzsteins! In welcher Zeit leben wir denn?«
»Wenn wir aber«, versuchte der Polizeidirektor einzulenken, »wenn wir aber den Stein ganz in der Nähe wieder aufstellen, zum Beispiel auf dem Mittelstreifen bei der Leitplanke, drei, vier Meter neben dem ehemaligen Standort? Glauben Sie, dass das etwas nützen würde?«
»Kaum«, sagte die Sagensammlerin, »Geister nehmen es sehr genau.«
Damit war die Sitzung geschlossen.
Die Frage wurde nun in der Regierung des Kantons und in der Landesregierung besprochen, und man fällte einen realistischen Entscheid, nämlich, dass
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