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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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Liebe geschenkt, als ich sie einmal vom Kino nach Hause brachte. Sie fror, und ich legte ihr das Halstuch um und fragte nachher, ob sie es nicht behalten wolle, und sie freute sich darüber, ich fast noch mehr, jetzt hast du mich immer am Hals, sagte ich, und sie lachte und sagte, nur wenn ich will.
    Später wollte sie dann nicht mehr, sie ging nach Amerika und heiratete einen Schönheitschirurgen, was ich ihr irgendwie übel nahm, und dann verloren wir uns aus den Augen.
    Seltsam, wie einem in der Erinnerung auch wieder ganze gesprochene Sätze in völliger Klarheit hochkommen, und wie verletzte Gefühle nie ganz heilen. Ich dachte wieder viel an dieses Mädchen und an die Zeit nach dem Abschluss der Mittelschule, und ich merkte, dass ich mich immer wieder fragte, was wohl aus dem Halstuch geworden sei, ob es noch eingemottet in einem Kleiderschrank ihrer Eltern hänge oder ob es schon längst in einem karitativen Altkleidersammelsack nach einem Erdbebengebiet geschickt worden sei und jetzt vielleicht einen serbischen Bauern vor der Morgenkälte schütze, oder ob sie es, und dieser Gedanke entfesselte meine ganze Sentimentalität, ob sie es etwa noch trage.
    Ich wollte es wissen. Die Eltern des Mädchens wohnten immer noch am selben Ort, ich telefonierte dorthin und bat sie um die Adresse in Amerika, die Mutter war, wie
mir schien, gerührt über meinen Anruf und ließ durchblicken, dass die Tochter nicht allzu glücklich verheiratet sei, was ich sofort glaubte, jeder Mann ist überzeugt, dass seine früheren Freundinnen unglücklich verheiratet sind.
    Jedenfalls schrieb ich dieser Freundin einen langen, von Pubertät und Nostalgie nicht ganz freien Brief und fragte sie darin auch, was eigentlich aus dem Halstuch mit dem kleinen Elefanten geworden sei. Der Elefant darauf hatte ihr nämlich speziell gefallen.
    Am selben Tag, an dem ich den Brief abgeschickt hatte, traf ich in einer Theaterveranstaltung den Staatsanwalt und sagte ihm, er solle doch einmal in dem bewussten Schrank nachschauen, ob auf dem Halstuch ein kleiner Elefant aufgestickt sei.
    Am andern Morgen rief er mich schon um acht Uhr an. Der Elefant war vorhanden.
    Was ich über das Halstuch denn wisse, fragte mich der Staatsanwalt ziemlich unruhig.
    »Es kommt aus Südfrankreich«, sagte ich.
    »Ach«, sagte er, »das meinst du. Wegen der französischen Nationalfarben, das haben wir uns auch gedacht. Aber wieso Süd?«
    »Wegen des Elefanten«, sagte ich.
    Mehr wollte ich ihm nicht sagen, und genau genommen wusste ich auch nicht mehr. Von diesen Halstüchern musste es Hunderte geben, und ich konnte nur sagen, dass sie auf dem Markt in Avignon vor über zwanzig Jahren verkauft wurden. Vielleicht wurden sie heute noch verkauft, da müsste man einmal hingehen und schauen.

     
    Bald kam aus Denver, Colorado, ein langer, auch leicht melancholischer Brief zurück, in dem mir meine frühere Freundin ihre jetzigen Lebensumstände schilderte (die Andeutung ihrer Mutter bestätigte sich), und zuletzt schrieb sie mir auch, dass sie mein Halstuch seinerzeit nach Amerika mitgenommen habe, dass sie es dann aber einer Freundin, die sie dort kennengelernt habe, geschenkt habe, als diese nach ihrer Ausbildung zurück in die Schweiz gefahren sei; diese hätte es trotz der Flecken vom Langlaufwachs, die ja nie ganz verschwunden seien, sehr gern genommen, habe es damals wohl auch ein kleines bisschen als Talisman betrachtet, und sie könne mir gern die Adresse dieser Freundin geben, da ja kein Geheimnis damit verbunden sei. Zu meinem Erstaunen folgte dann der Name der Kinderärztin, die meine beiden Buben betreute.
    Ich erinnerte mich jetzt auch wieder an die Sache mit den Wachsflecken. Im Winter waren wir einmal zusammen ein paar Tage in einer Skihütte in den Ferien, ich machte damals schon Langlauf, als es noch kein Volkssport war und hatte ein Paar Holzbretter, auf die ich nach jedem Lauf einen neuen Grundbelag strich. Einmal war dieser Belag noch nicht ganz trocken, als ich die Ski auf die Schulter nahm, und mein Halstuch bekam in der Nähe des Elefanten einige braune Flecken ab, die sich als sehr zäh erwiesen.
    Als ich jetzt den Hörer abhob, um den Staatsanwalt anzurufen, merkte ich, dass meine Hand zitterte. Bis jetzt war ich einer unbestimmten, eher spielerischen Vermutung gefolgt, aber wenn es sich erweisen sollte, dass das
Halstuch im Schrank an derselben Stelle braune Flecken hatte, dann hatte sich der unbekannte Deutsche mit meinem Halstuch erhängt, dann gab

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