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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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kam zu furchtbaren Zusammenstößen beim Versuch des überholenden Wagens, sich wieder hineinzudrücken, und wenn der Ausbruch nach links erfolgte, in die Stahlseile der Leitplanke, waren diese normalerweise zu schwach, um das Auto zur ückzuhalten, welches dann auf die Gegenfahrbahn geriet und dort eine Frontalkollision verursachte.
    Da kein Fahrer eines Unglückswagens einen solchen Unfall überlebte, musste man immer versuchen, aus den Beobachtungen der übrigen Beteiligten ein Bild vom Hergang zu gewinnen, aber nie war einem andern Straßenbenützer etwas aufgefallen, was eine derart panische Reaktion gerechtfertigt hätte.
    Plötzlich herunterstechende Raubvögel etwa sind als Auslöser von ähnlichen Unfällen bekannt, aber niemand hatte jemals einen gesehen, auch für Hasen oder andere Kleintiere, die allenfalls in die Fahrbahn gesprungen sein könnten, fand man keinen einzigen Augenzeugen. Am besten fasste es ein Lastwagenchauffeur zusammen, der von einem Unglücksfahrer gerade überholt worden war,
als dieser nach links ausscherte und sich auf der andern Seite überschlug, der fasste also zusammen, was er als mögliches Hindernis auf der zweiten Spur gesehen habe: »Nichts. Gar, gar nichts.«
    Gar nichts konnte es aber nicht sein, das die Automobilisten am helllichten Tag, meist sogar bei schönem Wetter, in derart verhängnisvolle Richtungswechsel trieb, und so kam es zu allerhand Vermutungen. Die Erdstrahlenanhänger hielten ihre Stunde für gekommen und stellten sich mit Pendeln auf dem Pannenstreifen auf, die Wasserfühler und Rutengänger meldeten sich und ersuchten um eine Begehungsmöglichkeit der Überholspur, Magnetopathen gaben ihre Wellenbündeltheorien bekannt, Astrosophen sprachen von einem temporären Fokus kosmischer Intensivstrahlung, die Lösungsvorschläge reichten vom Umwickeln der Leitplankenseile mit Kupferdrähten bis zur Überdachung des ganzen Abschnittes oder zum Einstecken von Metallplättchen vom Autobahnrand bis zur Dünnern, dem kleinen Fluss, der das Trassee dort eine Strecke weit begleitet.
    Die Polizei war ratlos und unternahm nichts. Als dann aber ein Sportwagen unter die Räder eines Sattelschleppers fuhr, den er überholen wollte und dabei mitgeschleift und zerdrückt wurde, signalisierte man an dieser Stelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km, und wer weiß, wie schwierig hierzulande Geschwindigkeitsbeschränkungen bei den Behörden durchzubringen sind, sieht daran, dass man die Gefahr nun ernst nahm.
    Woher sie aber kam, war immer noch nicht klar. In der Bevölkerung der Umgebung hörte man gelegentlich, vor
allem von älteren Leuten, die Bemerkung, man hätte eben dem Roggenbauer seinen Grenzstein nicht wegnehmen dürfen. Das bezog sich auf eine alte Geschichte, die man früher in der Gegend erzählt hatte, von einem Bauern, der nach seinem Tod einen unrechtmäßig versetzten Grenzstein nächtlicherweile wieder an seinen Platz zurückschleppen musste. Eine Sagensammlerin machte die Polizei darauf aufmerksam.
    Der Beamte, der mit dem Sammeln der Hinweise beauftragt war, legte den Zettel mit dieser Notiz seufzend zu den Briefen mit der kosmischen Intensivstrahlung und den Metallplättchen. Erst beim nächsten Unfall dachte er wieder daran.
    Das war nämlich der erste Unfall, bei dem es im betroffenen Fahrzeug auf der Überholspur Überlebende gab. Der Bus einer Hochzeitsgesellschaft wollte den Bus einer anderen Hochzeitsgesellschaft überholen, als er plötzlich so stark abbremste, dass er von einem hinter ihm eingespurten Möbelwagen gerammt wurde, dadurch quer auf die Bahn geworfen wurde und auch von mehreren Autos der rechten Spur getroffen wurde, die sich alle ineinander verkeilten. Es war der größte Unfall, der je an dieser Stelle passiert war, mehr als ein Dutzend Menschen kamen ums Leben, viele wurden schwer verletzt, es gab eine nationale Betroffenheit wie bei einem Flugzeugabsturz.
    Der Chauffeur des Busses gehörte zu den Toten, auch die Passagiere unmittelbar hinter ihm, aber die beiden Kinder, die auf dem vordersten Sitz neben dem Chauffeur gesessen hatten, waren durch einen glücklichen Zufall unverletzt geblieben und konnten zum Hergang befragt
werden. Was sie aussagten, trieb dem Untersuchungsrichter eine Gänsehaut über den Rücken. Sie sagten übereinstimmend und ohne den geringsten Zweifel, plötzlich sei vor ihnen ein großer Wagen gefahren, ein Heuwagen, von zwei Pferden gezogen, und auf dem Wagen vorn habe ein Mann gestanden, habe seine

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