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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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nochmals zu wiederholen, was ich schon zu Beginn betont habe, – den man sich zur Zeit dieser Geschichte kaum älter als dreißig Jahre vorstellen darf, »aha«, sagte er, und nach dieser Interjektion nahm er Messer und Gabel in die Hand, stach ein erstes Stück des Schübligs an und fügte hinzu: »Das sieht eher nach Buch aus als nach Brot.«
    »So ist das bei unserm Buchbrot«, sagte der Kellner, »guten Appetit!«, und entfernte sich zum Nachbartisch, wo er scheinbar zu tun hatte, in Wirklichkeit aber halb abgewendet stehenblieb, um meinen Urgroßvater zu beobachten.
    »Guten Appetit!«, rief nun die halbe Kneipe dem Esser zu, und der junge Mann mit der Schiffermütze war es, der als Erster nicht mehr an sich halten konnte und kichernd beifügte: » – bei deinem Buch!«
    Damit war die Bresche geschlagen, und alle, welche die Szene mitverfolgt hatten, brachen in ein großes Gelächter aus, schlugen mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser wackelten oder hielten sich am Ellbogen ihres Nachbarn fest, und im Gelächter wurde das Wort »Buch« wiederholt, manchmal auch »Buchbrot« oder »Schüblig mit Buchbrot«, und alle waren sich einig, dass dem Kellner, welchem man anerkennend zuwinkte, ein wirklich guter Scherz gelungen war.
    Doch mein Urgroßvater, der mir immer als äußerst eigenwilliger Mensch geschildert worden war, gab sich nicht so leicht geschlagen. Er setzte seine Brille auf, welche für die Nähe besser geeignet war als für die Weite, machte dann mit der Gabel das Buch, das aufgeschlagen neben
der Wurst lag, zu, schabte mit dem Messer die Sauce vom Buchdeckel und las laut den Titel.
    »So so«, sagte er, »La Cucina italiana – das trifft sich gut!«
    Dann schlug er das Buch wieder auf, trennte mit dem Messer sorgfältig eine Seite heraus, faltete sie zweimal zusammen, stach dann mit der Gabel hinein, führte sie zu seinem Mund und begann das Blatt zu kauen.
    Einen Moment lang war Stille ringsum, die Stille der Überraschung, bis der Schiffermützenmensch wieder losprustete und rief: »Er isst das Buch! Er isst es auf!«
    Jetzt schwappte die zweite Gelächterwelle durch das Lokal, und nun erwischte es auch den Kellner, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte, er wurde von einem Grinsen überwältigt, das von einem Ohr bis zum anderen ging, und sein ansehnlicher Bauch, der sich über dem breiten Ledergürtel mit der Zahltasche wölbte, begann gewaltig zu wackeln, und hinter dem Schanktisch erkannte man nun auch den Koch, der die Hände in die Hüften stützte und mit gerötetem Gesicht mitlachte.
    Mein Urgroßvater ließ das Gelächter ungerührt über sich ergehen, schöpfte sich etwas Senf aus dem Fässchen auf den Rand des Tellers, trennte eine weitere Seite heraus, gabelte sie auf und zerkaute sie gemächlich, schnitt sich ein Rädchen vom Schüblig ab, tunkte es in Senf, führte es ebenfalls zum Mund, schluckte dann offensichtlich alles hinunter und spülte mit einem Schluck vom Elsässerwein nach.
    Das war der Augenblick, als der Kellner sich anschickte, den Scherz zu beenden, indem er sich vor meinem Urgroßvater
hinstellte und ihn fragte, ob er nicht lieber Kartoffelsalat dazu hätte, er würde ihm einen offerieren. Gleichzeitig griff er nach dem Servierlöffel und wollte das Buch vom Teller des Gastes entfernen, aber da war er bei diesem an den Falschen gekommen.
    »Das wäre ja noch schöner«, sagte er, »Spezialitäten hinstellen und dann gleich wieder wegnehmen. Schmeckt sehr gut, Ihr könnt es der Küchenmannschaft sagen.«
    Mit diesen Worten schnitt er sich eine weitere Seite heraus und verspeiste sie wie die zwei andern, fuhr sich nachher mit der Serviette über Lippen und Schnurrbart und putzte auch noch einen kleinen Saucenspritzer weg, den seine herausgeschossene Nelke im Knopfloch abbekommen hatte.
    Vielleicht wäre es doch besser, wagte der Kellner einzuwenden, wenn der Herr nicht das ganze Buch verspeisen würde, er könne nicht garantieren, dass ihm das wirklich zuträglich sei.
    Was denn hier eigentlich los sei, sagte mein eigenwilliger Urgroßvater, indem er Messer und Gabel heftig auf den Tisch niederlegte, er habe Schüblig mit Buchbrot bestellt und jetzt esse er davon, so viel er wolle, und mit großem Geschick säbelte er sich ein nächstes Blatt ab und verschlang es.
    Der Kellner, dem es nun immer weniger wohl war, sagte, normalerweise servierten sie eben Schüblig mit Ruchbrot, und das mit dem Buchbrot sei sozusagen eine Ausnahme, etwas Besonderes, das es auch

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