Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
Bartwichsenverkäufer an seiner Seite hatte die Beleidigung durch das Verschenken einer Bartwichse wieder entschärft, aber irgendetwas bleibt ja trotzdem hängen, und so kommt es nicht von ungefähr, dass wir die Figur des Holzflößers, der sich also vor meinem Urgroßvater aufgepflanzt hatte, als bedrohlich empfinden müssen, und ich hoffe sehr, dass diesem, während er mit erhobenen Händen um Ruhe und Konzentration gebeten hatte, die Antwort auf die Frage in den Sinn gekommen ist, die Frage nämlich, was Baumstamm auf Italienisch heiße, he?
    Bedächtig senkte er seine Hände, öffnete den Mund, und kaum hatten die Umstehenden »il tronco« gehört, nickte Giovanni und wiederholte auch dieses Wort, il tronco, der Baumstamm, da gab es keinen Zweifel, und der Flößer schlug sich mit der rechten Faust auf die Fläche seiner linken Hand und sagte dazu: »Gottstromi, der kann’s!« Gottstromi war ein Kraftausdruck, wohl zusammengezogen aus »Gott straf mich«.
    Nun wollte es auch Stöff, der Koch wissen, der inzwischen
in der Nähe des Tisches stand, mit der Hand auf der Schulter des Kellners, welcher das Ganze angezettelt hatte. Mit Stentorstimme schrie er um Ruhe und fragte dann den Gast, ob man nun von den Aufgaben für Anfänger zu den Aufgaben für Fortgeschrittene übergehen könne.
    »Bitte«, sagte mein Urgroßvater mit allergrößter Ruhe, »bitte sehr«, und schnitt sich erneut ein Blatt des Buches zurecht, wendete es in der Sauce hin und her, steckte es in den Mund, ließ ein Stück Schüblig folgen und begann alles langsam und genüsslich zu kauen, während er seine Augen auf den Examinator richtete.
    Dann möchte er, sagte dieser, statt einzelner Wörter ganze Sätze hören, und einer der wichtigsten Sätze sei, nach allem, was er über die italienischen Weiber gehört habe: »Fräulein, wollen Sie mit mir vögeln?«
    Ein gewaltiges Gelächter brandete durch den Saal, von allen Tischen hörte man Zustimmung, ja, das wolle man wissen, genau das, und von ganz hinten rief einer, wenn dieser Satz im Buch stehe, fresse er einen Besen, und sein Nachbar fügte grinsend hinzu, und er ficke einen Besen, und knallte dem andern die Hand auf den Rücken, dass diesem das Bier aus dem Mund sprühte.
    Mein Urgroßvater ließ sich in keiner Weise von der ausgelassenen Stimmung beeindrucken, sondern wartete kauend ab, bis es ruhiger wurde. Dann sagte er zum Koch, man sehe, dass er noch keine halbe Seite von diesem Buch gegessen habe, obwohl es doch die ganze Zeit in seiner Küche gestanden haben müsse, denn von Italien verstehe er offenbar nichts, und von den italienischen Weibern weniger als nichts, sonst wüsste er, dass es genüge, einer Frau
eine solche Frage zu stellen, und schon schnelle hinter der nächsten Hausmauer irgendein Giuseppe hervor und stoße ihm ein Messer in seinen Ranzen, und zwar so – und er stand blitzschnell auf und stieß dem Koch einen Finger zwischen die Rippen –, »und dann machen sie Gulasch aus dir.«
    »Oder sie hauen dir deinen Schüblig ab!«, krähte der Kerl, der den Besen ficken wollte, von hinten, und das Gelächter wollte kein Ende nehmen, bis mein Urgroßvater, der immer noch stand und gegenüber Koch und Kellner von beängstigend kleinem Wuchs war, die Hände hob und sagte, sie sollten aufhören, über den Koch zu lachen, schließlich hätten sie alle auch diesen Satz hören wollen und seien somit genauso ahnungslos, und er wolle nur nicht schuld daran sein, dass im nächsten Frühling einer von ihnen in Venedig ins Messer hineinlaufe, denn über die Ehre gehe den Italienern nichts, hab ich recht, Giovanni?
    Giovanni sagte sofort mehrmals ja, weil er bereits die Schlägerei witterte, um die er herumzukommen gehofft hatte, als er für einen halben Liter Elsässer die Übersetzerrolle angenommen hatte, oder vielmehr die des Kronzeugen des italienischen Sprachschatzes.
    Zum Koch gewendet, der soeben noch einen halben Kopf größer geworden war, sagte mein Urgroßvater nun, er möchte ihm seinen Satz trotzdem dolmetschen, aber eben so, dass er, der Koch, keinen Schaden nehme, wenn er damit nach Italien gehe. Es gebe natürlich, sagte er, verschiedene Möglichkeiten, sich etwas anständiger auszudrücken, und er strich sich dabei mit der linken Hand
über den Schnurrbart, blickte dazu abwägend an die Decke und sagte dann plötzlich, als wäre er von seinem eigenen Entschluss überrascht: »Signorina, vuol bere un caffè con me?«
    Ein Raunen ging durch die Gaststube, und der

Weitere Kostenlose Bücher