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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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fragend in die erwartungsvollen Gesichter blickte. Nun war die ganze Besucherschaft des Lokals nur noch dem Fortgang dieses Scherzes zugewandt, sämtliche Männer an den hinteren Tischen hatten sich inzwischen erhoben, um besser mitverfolgen zu können, wie es weiterging.
    Es liege ein halber Liter Elsässerwein für ihn drin, sagte der Schiffermützenmensch unternehmungslustig zu Giovanni, sie bräuchten jemanden, der Italienisch könne, weil hier einer sitze, der soeben Italienisch gelernt habe, und zwar wie der Blitz, und er möchte nun, um ganz sicher zu sein, eine kleine Prüfung mit ihm machen.
    Giovanni schätzte die Stimmung im Lokal ab und hatte das Gefühl, er könne die ihm zugedachte Rolle übernehmen, ohne ins Unheil einer Schlägerei hineinzulaufen, und für einen halben Liter Weißwein war er im Hitzedunst der Küche gern zu haben, also nickte er und kam durch die Gasse, die sich sogleich für ihn bildete, zum Tisch meines Urgroßvaters.

    »Gut«, sagte der Mann mit der Schiffermütze zu dem unerschütterlichen Esser, dessen Kiefer bereits das siebte Blatt bearbeiteten, »was heisst …«, – nun zögerte er einen Moment, weil ihm kein Wort in den Sinn kam, das er ihn fragen könnte, bis sein Blick auf dem Teller mit der Spezialität des Hauses stehenblieb –, »was heißt Teller auf Italienisch?«
    Mein Urgroßvater erhob seinen Zeigefinger, um anzudeuten, er müsse zuerst sein siebtes Blatt hinunterschlucken, obwohl er in Wahrheit nur Zeit gewinnen wollte, denn er konnte zwar manches, aber Italienisch konnte er nicht, doch als er danach seinen Mund öffnete, sprach es deutlich aus ihm heraus: »Il piatto.«
    Fragend wandten sich alle Blicke zu Giovanni, und fragend wandte sich auch der Blick meines Urgroßvaters zu Giovanni, welcher sogleich bestätigend nickte und lächelnd das Wort wiederholte, das soeben meinem Urgroßvater entstiegen war, il piatto.
    »Prost«, sagte mein Urgroßvater und erhob sein Weinglas, aber ringsum waren alle so baff, dass ihm niemand zuprostete außer dem lombardischen Bartwichsenhändler neben ihm, der ihn anerkennend anblickte und ihm aus seiner Karaffe das Glas wieder vollgoss, das mein Urgroßvater leergetrunken hatte.
    Inzwischen hatte der Prüfende beim Blick auf den Tisch ein weiteres Wort entdeckt, das er dem Bücherfresser vorlegen wollte. »Messer!«, rief er ihm zu und beobachtete ihn sehr genau, ob er nicht auf irgendein Hilfsmittel schiele.
    Mein Urgroßvater aber verhielt sich wie beim ersten Mal, er hob seinen Zeigefinger, wartete ein bisschen,
schloss dazu sogar noch die Augen, schaute sozusagen innerlich in seinen Magen hinunter, öffnete dann Mund und Augen gleichzeitig, und aus ihm heraus kam das Wort »il coltello.«
    »Il coltello«, sagte Giovanni, nickte und fügte ein »bravo« hinzu.
    »Gabel!«, schrie von weiter hinten einer, und es verwunderte niemanden mehr, dass Urgroßvaters Lippen nach demselben kleinen Ritual das Wort »la forchetta« artikulierten.
    Bevor sich das bewundernde Raunen allzu sehr verbreiten konnte, pflanzte sich der Holzflößer vor meinem Urgroßvater auf und sagte, dies seien alles Küchenwörter gewesen, und das sei bei einem Kochbuch nicht erstaunlich, aber er frage ihn jetzt ein anderes Wort, um zu sehen, ob man mir nichts dir nichts italienisch lerne, wenn man ein paar Seiten eines italienischen Buches fresse, nämlich Baumstamm, he? Was heißt Baumstamm? Steht das auch in deinem Kochbuch?
    Diesmal hob mein Urgroßvater beide Hände, um anzudeuten, dass er für dieses Wort absolute Ruhe und Konzentration brauche, worauf der Geräuschpegel sofort merklich sank, dann schloss er seine Augen, horchte in sich hinein, und ich möchte ihn jetzt, wo es gerade so schön ruhig geworden ist in der Kleinbasler Kneipe, einen Moment lang so sitzen lassen, denn es scheint mir eine schöne Stellung zu sein, ich habe sie soeben selbst eingenommen und kann sie Ihnen auch empfehlen, wenn Sie einmal in sich hineinhorchen wollen, und vielleicht wollen Sie auch bloß nachschauen gehen, was Baumstamm
auf Italienisch heißt, und sonst drehen Sie doch einfach die Seite, einer von beiden wird es Ihnen dann schon sagen, entweder mein Urgroßvater oder der Giovanni.

Sechstes Kapitel
    N un, wir haben unsern Urgroßvater unmittelbar vor der Beantwortung einer schwierigen Frage sitzen lassen, die ihm der Holzflößer stellte, den er vorher fast beleidigt hatte, d. h. eigentlich hatte er ihn wirklich beleidigt, doch der lombardische

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