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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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bei ihnen nicht alle Tage gebe.
    Eben, sagte mein Urgroßvater, und weswegen er wohl
den langen Weg von Sisseln nach Basel zur Messe mache, denk um etwas Besonderes zu bekommen, und er glaube bald, der einzige Feinschmecker hier im Lokal sei er, und sie alle hätten wohl noch nie davon gehört, was ein verspeistes Buch für eine besondere Wirkung habe auf den, der es aufesse.
    Herausfordernd blickte er in die Runde, aber niemand wollte eine Antwort riskieren, auch als der Urgroßvater mit einem »Na?«, nachdoppelte.
    »Also, dann muss ich es euch wohl erklären«, sagte er schließlich, machte sich nochmals eine Seite mundgerecht und biss hinein, dass sie knackte wie ein Salatblatt, und nun lassen wir ihn zuerst seine fünfte Seite zerkauen und hinunterschlucken, und weil ihm das nicht ganz so leicht fällt, wie es den Anschein macht, möchte ich ihm dazu für den Rest dieser Seite Zeit lassen und Ihnen dann in einem fünften Teil erzählen, wie mein Urgroßvater seinerseits zum Angriff überging und sich mit der ganzen Gesellschaft einen Scherz leistete, von dem in Kleinbasel noch lange gesprochen wurde.

Fünftes Kapitel
    N ach dem Zerkauen der fünften Seite nahm mein Urgroßvater die Serviette hoch, wischte sich damit die weiße Sauce genussvoll aus den Mundwinkeln und gab die Erklärung ab, was für eine Wirkung ein verspeistes Buch auf denjenigen habe, der es aufesse.
    »Wer ein Buch isst«, sagte er, indem er selbstbewusst mit seinem Blick über die ganze Runde streifte, die ihn fragend anstarrte, »wer ein Buch isst, der weiß nachher alles, was drinsteht.« Und mit diesem Satz trennte er ein sechstes Blatt heraus, faltete es mit Messer und Gabel so zusammen, dass es eine mundgerechte Größe bekam, träufelte sich mit dem Löffel noch etwas weiße Sauce darüber, bevor er es langsam zu zerkauen begann.
    Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen. Dann rief der Mann mit der Schiffermütze: »Hansi!« Das war der Name des dicken Kellners: »Ja?«, sagte dieser, der sich auch noch nicht von der Ungeheuerlichkeit der urgroßväterlichen Behauptung erholt hatte.
    »Was habt ihr ihm für ein Buch gekocht?«
    Hansi drehte sich um und suchte mit seinem Blick den Koch, den er zuletzt hinter dem Schanktisch gesehen hatte.
    »Stöff!«, rief er ihm zu, »hast du gehört? Wie das Buch hieß?«

    Der Koch gab nun bekannt, dass es sich um ein Buch handelte, das von seinem Vorgänger stamme, welcher Italiener gewesen sei und vor Jahren plötzlich an einem Schlagfluss verstorben sei. Ein Buch über die italienische Küche sei es, aber da es auf italienisch geschrieben sei, könne er nichts damit anfangen, außer, sagte er kichernd, wenn wieder einmal eine Spezialität des Hauses verlangt werde.
    »Ich hab’s ja gesagt«, murmelte mein Urgroßvater kauend, »La Cucina italiana«, und schluckte sein sechstes Blatt mit Feinschmeckermiene hinunter. »Prost!«, fügte er bei und hob sein Glas mit dem Elsässerwein, nahm einen großen Schluck und schnitt sich dann ein Rädchen des Schübligs ab, nach dem sein Magen dringend verlangte.
    »Dann kannst du italienisch?«, fragte der Holzflößer, mit dem sich der Urgroßvater den Scherz mit dem steifen Körperteil erlaubt hatte.
    Der Urgroßvater lächelte frech auf diese Frage, nahm sich seine Brille ab, um die beschlagenen Gläser mit seiner Serviette zu putzen, und gab dem Flößer zur Antwort: »Bis vor einer Viertelstunde noch nicht.« Dann setzte er die Brille wieder auf und begann sorgfältig mit der Abtrennung des siebten Blattes aus dem italienischen Kochbuch.
    »Also Hansi«, sagte der Mann mit der Schiffermütze, entschlossen, den Scherz, der sich nun gegen die Pintenbesucher zu richten drohte, wieder auf den ursprünglichen Kurs zurückzubringen, und der ursprüngliche Kurs war der, dass man sich auf Kosten eines dümmlichen Landeis den Buckel volllachen konnte. »Also Hansi, dann hol
doch einmal euren Küchenburschen, der ist doch Italiener, oder?«
    Dieser Vorschlag wurde allgemein gutgeheißen, der Kellner gab ihn an den Koch weiter, welcher den Namen Giovanni nach hinten rief, oder vielleicht auch Giuseppe oder Giancarlo, oder nein, bleiben wir bei Giovanni, jedenfalls ein geläufiger Italienername, und es wird Sie nicht erstaunen, wenn der genannte Küchenjunge, den wir unter dem Türrahmen der Küche beim Schanktisch erscheinen lassen, klein, schmal, kraushaarig und fröhlich war und sich die Hände an einer schmuddeligen Schürze abtrocknete, indem er

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