Der Gejagte
haben über jedes Stück Buch geführt. Der Fehler muss andernorts
passiert sein.«
»Und um genau das festzustellen, sind wir hier«, antwortete Andrej
ungeduldig. »Also führt uns hinein.«
»Das werde ich nicht tun«, sagte der Türke. »Ich habe strengsten
Befehl, niemanden hereinzulassen, der sich nicht ausweisen kann.«
»Vielleicht sollten wir gemeinsam zum Großwesir gehen und diese
Frage erörtern«, entgegnete Andrej lächelnd. »Ich bin sicher, er wird
Euren Diensteifer honorieren.« Er ließ eine Sekunde verstreichen und
registrierte zufrieden, wie die Selbstsicherheit seines Gegenübers
zusehends zerbröckelte. Dann hob er die linke Hand und zog mit der
rechten den schweren goldenen Siegelring ab, den er am Mittelfinger
trug.
»Ich weiß nicht, ob…«, begann sein Gegenüber. Andrej unterbrach
ihn abermals, indem er ihm den Siegelring hinhielt.
»Das wird Euch überzeugen«, sagte er. »Ich nehme an, Ihr kennt
diesen Ring?« Wenn nicht, dann sind wir jetzt so gut wie tot, fügte er
in Gedanken hinzu. Dieser Siegelring war ihre einzige Hoffnung und eine Fälschung. Allerdings eine perfekte Fälschung, nach Angaben eines gefangenen türkischen Admirals von einem jüdischen
Goldschmied in Toledo gefertigt. Andrej war nicht besonders wohl
dabei, seine letzte Trumpfkarte jetzt schon auszuspielen. Er hatte
vorgehabt, sie für den Notfall aufzuheben, aber er hatte wohl keine
Wahl.
Der Mann nahm den Ring entgegen und betrachtete ihn eingehender, als Andrej lieb war. Schließlich gab er ihn zurück und deutete
ein Achselzucken an. »Ich bin sicher, der Fehler liegt nicht bei uns«,
sagte er in gekränktem Ton. »Aber Ihr könnt Euch gerne selbst davon überzeugen.«
Sie verbrachten eine lange Weile im Inneren des Gebäudes, und
Andrejs Bestürzung wuchs beständig. Der Beamte, in dessen Obhut
sie der Offizier übergab, erwies sich als äußerst kooperativ und händigte Andrej gehorsam jedes Schriftstück und jede Liste aus, nach
der er verlangte. Andrej musste sich mit immer größerer Anstrengung beherrschen, um sich sein Entsetzen nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. De la Valette hatte Schlimmes befürchtet, als er
ihn dorthin geschickt hatte, aber die Lage war nicht schlimm. Sie war
verheerend.
»Was ist denn los mit dir?«, flüsterte Abu Dun an seinem Ohr, als
sie sich schließlich umwandten und den Rückweg antraten. Seine
Stimme war kaum mehr als ein Wispern, aber Andrej fuhr erschrocken zusammen und sah sich um, als hätte er Angst, dass die Worte
überall in dem großen, zum Lagerhaus umfunktionierten Raum gehört worden wären. Immerhin waren sie nicht allein. Auch vor der
Tür zum Seitenschiff, in der die Schreibstube des Zeugmeisters untergebracht war, lungerte eine Wache herum, die ihre Aufgabe allerdings wesentlich weniger gewissenhaft versah als die Männer draußen am Tor.
Überall rings um sie herum waren Männer mit unterschiedlichen
Aufgaben beschäftigt. Allem Anschein nach bestanden diese zumeist
darin, Kisten und Ballen von rechts nach links und wieder zurück zu
schleppen und den einen Stapel durch den anderen zu ersetzen. Natürlich war Andrej klar, dass das, was wie ein chaotisches Durcheinander schien, in Wirklichkeit ein präziser Arbeitsablauf nach einem
wohl durchdachten Plan war. Auch das vermeintliche Sprachengewirr, das in dem ehemaligen Gotteshaus herrschte, war eine geordnete Folge von Befehlen und Kommandos, die Dutzende von Männern
mit der Effizienz einer großen Maschine arbeiten ließ. Einer Maschine, die längst ins Rollen gekommen war und Malta samt allen, die
darauf lebten, am Ende zermalmen musste…
»Sieht man es mir so deutlich an?«, murmelte er mit unbewegtem
Gesicht, ohne sich zu Abu Dun herumzudrehen.
»Nein«, antwortete der Nubier. »Man nicht. Aber ich. Schlechte
Nachrichten?«
»Mehr als schlecht«, erwiderte Andrej. »Ich habe mir die Bestückungslisten zeigen lassen.« Er atmete hörbar aus. »Wenn sie stimmen, dann ist genug Feuerkraft auf dem Weg nach Malta, um die
Insel für immer von der Landkarte verschwinden zu lassen. Wir müssen sofort zurück.«
»Um was zu tun?«, fragte Abu Dun.
Wenn ich das wüsste, dachte Andrej niedergeschlagen. »Beten wäre
eine gute Idee.« Jedenfalls für jemanden, der an die Kraft des Gebetes glaubte.
»Wir könnten vielleicht…«, begann Abu Dun, aber diesmal unterbrach ihn Andrej mit einer angedeuteten Geste und einem gezischten:
»Jetzt nicht!«
Sie näherten sich dem Ausgang. Nach
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