Der gelbe Handschuh
mitten auf die Tanzfläche gestellt, deren Spitze fast bis zur Decke ging. Seit der Ausfahrt aus Bremen vor drei Monaten hatte sie eingeschnürt im
Kühlraum herumgelegen. Jetzt wurde sie von den Herren Rehbein und Kannengießer mit Engelshaar und großen Christbaumkugeln geschmückt.
Zwei Decks höher wandelte inzwischen Kapitän Stahlhut in seiner schneeweißen Uniform am Swimmingpool vorbei. Er plauderte übers Wetter, schüttelte Hände und lachte zwischendurch immer wieder einmal. Achtern auf dem offenen Mannschaftsdeck lagen auch die Matrosen und Stewards, die gerade ihre Freizeit hatten, in der Sonne, rauchten und hörten Musik aus Transistorradios. Andere putzten ihre Schuhe oder lehnten an der Reling und blickten ins Kielwasser. Zwischen ihnen reparierte der Obermax aus der Wäscherei sein Motorrad. Neben ihm hockte sein jüngerer Bruder Huang Ku mit nacktem Oberkörper und dem Werkzeugkasten.
„Guten Morgen, Herr Chang Lie“, grüßte Ulli Wagner, der zusammen mit Peter und Ronny plötzlich auftauchte. „Sind es die Masern oder die Nieren?“
„Die Zündkerzen.“ Der schlanke Chinese, dem das schwarze Haar wie Gras aus dem Kopf wuchs, grinste. „Wie geht’s, meine Freunde?“
„Das ist Ronny“, sagte Peter Finkbeiner.
„Oh, ich kenne Mister Fuller“, unterbrach der Obermax aus der Wäscherei. „Er ist ja mit seiner Tante nicht zum ersten Mal an Bord.“
„Good morning, Partner“, sagte Ronny. Er wollte dem Chinesen und seinem Bruder gerade die Hand geben, als der Page Axel Kannengießer in seiner roten Jacke angeflitzt kam.
„Hallo, Obermax, dein Typ wird verlangt“, keuchte der Junge mit der Stubsnase. „Du sollst sofort ins Personalbüro kommen.
„Also müssen die Zündkerzen warten“, seufzte der Chinese und stand auf.
„Vielleicht gibt es Geld“, meinte Axel Kannengießer. „Alles ist möglich“, Chang Lie grinste und zog seine gelben Arbeitshandschuhe aus, warf sie auf den Benzintank des Motorrades und schob ab.
„Ich muß auch wieder los“, gab der Page aus dem Speisesaal bekannt.
„Bist du heute als Weihnachtsengel unterwegs?“ fragte Ulli Wagner. „Du hast Lametta im Haar.“
„Das hat man davon, wenn man für die Herren arbeitet.“ Der Junge mit den flachsblonden Haaren schüttelte den Kopf. „Wenn ich euch in der Badehose rumgammeln sehe, dreht mir der Klassenhaß den Magen um. Ich warne euch.“ Er blickte die anderen vorwurfsvoll an. „Im übrigen kann ich Herrn Rehbein wirklich nicht zu lange mit den Christbaumkugeln allein lassen.“
Er war noch nicht im Korridor zum Lift verschwunden, als der Schiffslautsprecher bekanntgab: „Steuerbords sind Delphine zu sehen. Delphine an Steuerbord.“ Auf allen Decks sprangen die Passagiere aus ihren Liegestühlen und stürzten an die Reling. Mister Hobbs kam in Hemdsärmeln aus seiner Kabine gelaufen und hatte noch den Cellobogen in der Hand. Die Schlangentänzerin Lisa Liranda trat Mister Palmer beinahe auf die Füße, und sogar Herr Latenser stand vom Bartisch auf. Er kippte noch schnell ein Glas im Stehen und stiefelte anschließend ins Freie.
Das Meer war so blank wie ein glattgeleckter Teller. Deshalb konnte man die acht oder neun Delphine auch besonders deutlich sehen. Sie schwammen neben dem Schiff her, tauchten und schossen dann plötzlich wie Torpedos in die Luft, drehten sich und verschwanden wieder elegant im Wasser. Die Passagiere knipsten wieder, was das Zeug hielt, oder guckten durch ihre Ferngläser.
Die zwei Knaben aus Berlin und der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt saßen unterdessen mit angezogenen Beinen nebeneinander auf einem dicken zusammengerollten Tau. Auch sie blickten zu dem Rudel Delphine hinunter.
„So was bietet einem sonst nur das Fernsehen“, meinte Ulli.
„Oder ein Zirkus“, sagte Peter. Und dann sagte er plötzlich zu Ronny, der neben ihm saß: „Aber für dich ist das ja ein alter Hut.“
„Stimmt, ich hab’ Delphine schon ziemlich oft gesehen. Aber deshalb langweilen sie mich nicht, wenn du das meinst.“
„Es soll Millionäre geben“, sagte Ulli wie aus heiterem Himmel, „die sich ihre Socken selber stricken.“
„Ich verstehe kein Wort“, erwiderte Ronny verwundert.
„Das sollte nur eine elegante Überleitung sein“, gab der Page aus dem Hotel Kempinski zu. „Aber es war wohl eine glatte Bauchlandung.“
„Ich verstehe immer noch nichts“, meinte Mister Fuller junior.
„Dann paß mal auf“, sagte jetzt Peter Finkbeiner. „Wir haben in
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