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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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dauern?“ fragte Herr Stahlhut immer noch freundlich.
    „Das bleibt abzuwarten“, antwortete der Museumsdirektor ein wenig ungeduldig.
    „Natürlich, das bleibt abzuwarten“, wiederholte der Kapitän mit dem vielen Gold an seiner weißen Uniform. „Ein paar Tage, eine Woche, vielleicht auch zwei Wochen...“
    Der junge Offizier und die übrigen Männer auf der Brücke starrten den Franzosen und dann ihren Kapitän an wie zwei Marsmenschen.
    „Sie werden das Schiff also stoppen?“ fragte Monsieur Prunelle.
    „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, sagte Herr Stahlhut bedauernd. „Wir haben so rund fünfhundert Passagiere an Bord, die in ihrem Urlaub von einer Insel zur anderen transportiert werden wollen. Darauf muß ich Rücksicht nehmen.“
    „Also nicht?“
    „Ich würde Ihnen ja gern den kleinen Gefallen tun“, erwiderte der Kapitän höflich, „aber es geht nicht.“
    „Schön“, sagte Monsieur Prunelle. „Dann springe ich über die Reling. Sie wissen, was das bedeutet?“
    „Mann über Bord“, antwortete der junge Offizier mit dem schwarzen Kinnbart und fügte noch hinzu: „Das geht aber nun wirklich zu weit.“
    „Bei dem Manöver Mann über Bord muß das Schiff sofort stoppen und Rettungsboote aussetzen“, schmetterte der Museumsdirektor jetzt wie ein Schüler, der unregelmäßige Verben herunterleiert. „Die Suchaktion muß bis zum Erfolg durchgeführt werden, mindestens aber zwei volle Tage und bei jedem Wetter.“ Er richtete sich auf. „Sie sehen, ich weiß Bescheid!“
    „Es wäre mir fast lieber gewesen, wenn Sie nicht so gut Bescheid wüßten“, entgegnete der Kapitän. „Sie bleiben bei Ihrer Drohung?“
    „Ich werde mich jetzt von Ihnen verabschieden“, sagte Monsieur Prunelle. „Und dann springe ich.“
    „Und natürlich lassen Sie sich das von mir nicht ausreden?“
    „Ich kann auf diesen Sprung leider nicht verzichten.“
    „Schade“, sagte Kapitän Stahlhut. „Wenn Sie sich so gut im Seerecht auskennen, wissen Sie bestimmt, daß der Kapitän eines Schiffes auch für die Sicherheit an Bord verantwortlich ist. Sie drohten damit, diese Sicherheit in Gefahr zu bringen. Und das ist eine ernste Sache, Monsieur Prunelle. Ich muß Sie leider bitten, in Ihre Kabine zu gehen. Mein Zweiter Offizier begleitet Sie, und dann wird Sie unser Schiffsarzt besuchen.“
    „Ich protestiere“, rief der Museumsdirektor aufgeregt. Er trommelte sich mit den Fäusten auf die Brust. „Denken Sie daran, wen Sie vor sich haben. Ich werde Anzeige gegen Sie — ich — ich werde...“ Plötzlich brach er auf einem Stuhl zusammen und fing an zu weinen. „Entschuldigen Sie“, stammelte er. „Ich bitte Sie alle um Entschuldigung. Es ist einfach zuviel für mich.“
    „Wir können Sie ganz gut verstehen“, meinte Kapitän Stahlhut.
    Als Monsieur Prunelle zehn Minuten später neben dem jungen Offizier mit dem schwarzen Kinnbart über das Brückendeck ging, sahen ihn die Berliner Detektive gar nicht.
    Sie lehnten nebeneinander an der Reling und blickten in die vielen Lichter, die wie ein Schatten neben dem Schiff übers Meer glitten. Aus der Europa-Halle war wieder die Bordkapelle zu hören.
    Sie hatten sich inzwischen über einen gewissen Herrn Latenser ihre Gedanken gemacht und schließlich darüber gegrübelt, wie man wohl einen Kurzschluß fabriziert. So im allgemeinen und an elektrischen Weihnachtskerzen im besonderen.
    Jetzt waren sie vom vielen Nachdenken müde.
    „Morgen ist auch noch ein Tag“, bemerkte Apotheker Finkbeiner. „Und Rom ist auch nicht an einem Abend erbaut worden.“
    Sie holten noch Frau Finkbeiner ab, die gerade mit Mister Hobbs in der Taverne einen Pfefferminzlikör getrunken hatte, und dann bummelten sie zu ihren Kabinen.
    Kaum eine Viertelstunde später knipsten sie ihre Nachttischlampen aus.
    Und wenn sie jetzt geträumt hätten, was am nächsten Tag passieren sollte, hätten sie sich erst gar nicht aufs Ohr gelegt, oder sie wären mitten in der Nacht vor Schreck aus dem Bett gefallen.
    Mister Palmer und Inspektor Brown verteilten sich inzwischen auf die verschiedenen Decks. Sie spazierten durch die Korridore, schlenderten an den leeren Schwimmbassins vorbei oder an den Rettungsbooten. Es war ihnen dabei natürlich klar, daß sie nur durch Zufall oder mit enorm viel Glück etwas Verdächtiges entdecken würden.
    Da niemand die Diebe kannte, mußten sie sich ja gar nicht in der Nacht verstecken, wenn sie sich treffen wollten. Sie konnten sich ganz

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