Der Gelbe Nebel
einen gehörigen Denkzettel, und auf seine Stirn wurde mit
unabwaschbarer Farbe ein Mal gezeichnet, mit dem er sich an keiner
Arztstelle zeigen dürfte. Aus Furcht vor dieser Strafe wurden selbst die
wildesten Räuber zahm wie die Lämmer. Es wurde aufgepaßt, daß niemand
die Ordnung verletze. Wenn ein zerzauster Spatz oder ein listiger Fuchs
sich vordrängte, wurde der Frechling unbarmherzig aus der Reihe gestoßen.
Tiere mit grünen Filtern vor den Nasenlöchern lagen oder standen abseits
und warteten, daß der Klebstoff austrockne. Der Lohn für ihre Geduld war
eine schnelle Besserung ihres Gesundheitszustandes.
EIN NEUES UNGLÜCK
Von seinem zweiten Besuch in der Smaragdenstadt zurückgekehrt,
berichtete Ruf Bilan der Hexe folgendes:
„Die Völker des Zauberlandes weigern sich ka-re-go-tisch, Eure Macht
anzuerkennen, Herrin!“
„Ka-re-… ka-te-ri… Was bedeutet denn das?“
„Ich weiß es nicht, Herrin! Der Weise Scheuch liebt solche langen Wörter.
Wahrscheinlich bedeutet es: Auf keinen Fall.“
„So hättest du es auch sagen sollen. Zu meiner Zeit pflegte man solche
wunderlichen Wörter nicht zu gebrauchen.“
Mittlerweile hatten die allgegenwärtigen Zwerge herausgefunden, welches
Mittel die Menschen jetzt zur Bekämpfung des Gelben Nebels anwandten.
Sie erstatteten darüber der Hexe Bericht und zeigten ihr sogar
Rafalooblätter, die sie mitgebracht hatten. (Die Zwerge hatten sie selbst
benutzt, als sie in die Zone der vergifteten Luft eingedrungen waren.)
„Rafalooblätter… Hm!…“ brummte die Hexe. Sie dachte lange nach und
fuhr fort: „Und wenn ich euch befehle, alle Blätter von den Rafaloobäumen
zu pflücken? Dann werden die Menschlein keinen Ersatz finden für die
verbrauchten Blätter, nicht wahr?“
„Wie stellt Ihr Euch das vor, gnädige Herrin?!“ fragte Kastaglio. „Das ist
doch nicht möglich. Im Zauberland wachsen Tausende Rafaloobäume, und
sie tragen Millionen Blätter. Wie sollen wir das schaffen?“
„Schade, schade… Aber das macht nichts, der Gelbe Nebel wird ihnen noch
zeigen, was er kann!“
Und wirklich, er zeigte es. Kurze Zeit nachdem die Menschen den Husten
etwas eingedämmt hatten, stellte sich heraus, daß der Gelbe Nebel auch die
Augen angriff. Sie entzündeten sich so, daß die Menschen am Morgen die
Lider nicht öffnen konnten und sie mit Wasser waschen mußten. Schon
früher hatten sie wegen des Nebels schlecht gesehen, jetzt aber war ihr
Blickfeld noch kleiner geworden. Zwanzig Schritt vor den Augen
verschwamm alles in undurchdringlichem Nebel, und das wirkte
schrecklich. Der Scheuch wandte sich an die Doktoren Boril und Robil um
Hilfe. Die beiden hatten die Smaragdenstadt nicht verlassen und setzten
ihre Forschungen fort.
„Wir haben ein Mittel gegen Augenentzündung“, sagte Boril. „Wir geben
den Patienten Augentropfen… Aber…“, fuhr der rundliche Doktor mit
erhobenem Zeigefinger fort. „…sie helfen nur dann, wenn die Ursache der
Krankheit beseitigt ist. Wie sollen die Tropfen aber heilen, wenn der giftige
Nebel ständig die Augen ätzt?“
Robil fiel ihm ins Wort: „Brillen!“ sagte er bedächtig. „Man muß Brillen
tragen, die eng anliegen. Dann werden die Nebelteilchen die Hornhaut nicht
erreichen, und die Augentropfen werden heilend wirken.“
Der heißblütige Boril umarmte stürmisch seinen Kollegen.
„Ein Genie!“ rief er aus. „Ein Genie, wie es kein zweites auf der Welt gibt!
Was du vorschlägst, ist leicht auszuführen: In unserer Stadt lagern mehrere
tausend Brillen, die wir vor vier Jahren zu tragen aufhörten, weil sie uns
nicht mehr nutzten.“
„Das sind aber doch dunkle Brillen“, wandte der Scheuch ein. „Sie werden
die Augen schützen, aber die Menschen werden nichts sehen.“
„Eine Kleinigkeit!” sagte Robil. „Sie sind aus Glas gemacht und mit
dunkler Farbe überzogen, die wir leicht abwaschen können.“ Ohne ein
Wort zu sagen, nahm der Scheuch weitere zwei Orden aus dem Spind und
heftete sie an die Brust der Doktoren. Eine Stunde später rannten alle
hölzernen Boten, die in der Stadt aufzutreiben waren, mit Ranzen und
Körben dorthin, wo die Siedlung der Erzgräber lag. Ihr Brigadier hatte den
Schlüssel von dem Magazin bekommen, in dem die Brillen aufbewahrt
wurden. Man hatte ihnen eingeschärft, sie mit größter Sorgfalt einzupacken. Auch wurde beschlossen, die grünen Brillen Faramants zu verwenden, der darüber außerordentlich stolz war.
„Ich hab es doch
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