Der Gelbe Nebel
gesagt! Ich hab es schon immer gesagt!“ wiederholte er
einmal über das andere. „Oh, wie weise war doch der große Goodwin! Er
hat alles vorausgesehen, sogar den Gelben Nebel!“
Damit die grünen Brillen verwendet werden konnten, mußten sie mit
Ledereinlagen versehen werden. Zu dieser Arbeit wurden alle Schuster der
Stadt herangezogen. Herolde verkündeten auf den Plätzen und in den
Straßen den Erlaß des Herrschers:
„Der Gelbe Nebel hat eine gefährliche e-pi-de-mi-sche Krankheit
hervorgerufen, die Augenentzündung heißt. Zu pro-phy-lak-tischen
Zwecken („Was ist das nur?“ fragten sich die Bürger verdutzt) wird den
Einwohnern der Stadt und ihrer Umgebung die Weisung erteilt:
§1. Wer Brillen mit Ledereinlagen besitzt, soll sie ständig tragen.
§2. Zu Hause soll ein jeder eine Augenbinde aus Leinen oder Gaze anlegen,
die so oft wie nur möglich mit kaltem Wasser zu befeuchten ist.
§3. Man soll die Augen so wenig wie möglich offenhalten.
§4. Von morgen an beginnen die Arztstellen wieder zu funk-tionie-ren, wo
den Patienten mit entzündeten Augen Tropfen verabreicht werden.
§5. Alle Apotheker nehmen ungesäumt die Produktion von Augentropfen
in möglichst großen Mengen auf.
§6. Es ist die Herstellung von Brillen mit Ledereinlagen in die Wege zu
leiten, die den giftigen Nebel nicht durchlassen; die Termine ihrer
Verteilung unter der Bevölkerung werden später bekanntgegeben.
§7. Der Herrscher der Smaragdenstadt, der Dreimalweise Scheuch, hofft,
daß sich die Bevölkerung dis-zi-pli-niert verhalten und seine Weisungen
prompt ausführen wird.
„Welche Worte!“ flüsterten die Bürger entzückt. „Welche wunderbaren,
langen und unverständlichen Worte! Mit einem solchen Herrscher kann uns
wirklich nichts passieren!“
EINE WICHTIGE ENTSCHEIDUNG DES SCHEUCHS
Mit Hilfe der Vorsorge- und Heilmaßnahmen, die der Scheuch und sein
Stab trafen (dem Stab gehörten jetzt auch die zweifach dekorierten
Doktoren Boril und Robil an), konnten die Augenerkrankungen der
Menschen mit mehr oder weniger Erfolg bekämpft werden. Den Tieren
aber erging es schlecht. Gegen den giftigen Nebel konnten ihre Lungen
durch Rafalooblätter geschützt werden, doch es bestand keine Möglichkeit,
für alle Brillen anzufertigen, um so mehr, als diese verschiedene Formen
und Größen haben mußten. Über die Vogelstafette wurde den Tieren nun
der Rat erteilt, die Augen so wenig wie möglich offenzuhalten. Es war, als
erlösche alles Leben auf den Feldern und in den Wäldern. Für die
grasfressenden Tiere war die Lage halb so schlimm, denn Gras kann man
auch mit zugekniffenen Augen rupfen, doch die Raubtiere, die bei der Jagd
nach Beute auf ihre scharfen Augen angewiesen sind, konnten sich vor
Erschöpfung kaum noch aufrecht halten. Die Fliegenschnäpper, die Segler,
die Stieglitze und die Kuckucke saßen gramvoll aufgeplustert in den
Zweigen, und nur die unermüdlichen Spechte hackten mit verschlossenen
Augen die Baumrinde und brachten dadurch ein wenig Leben in die
Wälder. In dieser schweren Zeit machten sich besorgniserregende
Erscheinungen bemerkbar, die zunächst nur den scharfsinnigsten Menschen
auffielen. Seit mehr als drei Wochen bedeckte der Gelbe Nebel das
Zauberland. Wir haben schon erzählt, daß die Sonne nur noch wie eine
fahle rote Scheibe am Himmel schien und daß ihre Strahlen nicht mehr die
Kraft von früher hatten. Da der Nebel die Sonnenstrahlen aufhielt, konnten
sie nicht mehr die ehemalige Wärme spenden, und das wirkte sich mit
jedem Tag immer schlimmer aus. Die Halme auf den Getreidefeldern
hörten auf zu wachsen und gingen ein, das Obst in den Gärten reifte nicht,
sondern hing saftlos und zusammengeschrumpft in den Bäumen…
Dem Land drohte eine Mißernte, wie es sie seit Jahrtausenden nicht
gegeben hatte. Natürlich konnten die Menschen die Mißernte eines Jahres
überstehen, wenn es sich nur um ein Jahr handelte und genug Getreide
vorrätig war. Doch wovon sollten sich die Tiere ernähren? Außerdem
deutete nichts darauf hin, daß der nächste Frühling besser sein würde.
Kurzum, dem Zauberland drohte der Untergang. Das alles hatte die böse
Arachna angerichtet.
***
Eines Tages trafen Gäste aus dem Violetten Land in der Smaragdenstadt
ein: Der Eiserne Holzfäller, der immer wieder sein goldenes Ölfaß
hervorholte und ein paar Tropfen in seine Kiefer und Gelenke träufelte, und
der Mechaniker Lestar mit seinen Gehilfen. Ein Trupp Holzköpfe kam
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