Der gelbe Tod
zu hören. Aber ich ging ihnen beiden aus dem Weg und eilte die ächzenden Stufen zu Mr. Wildes Wohnung hinauf. Ich klopfte und trat ohne weitere Umstände ein. Mr. Wilde lag stöhnend mit blutüberströmtem Gesicht und zerfetzten Kleidern am Boden. Auf dem Teppich, der in dem offensichtlich kürzlich stattgefundenen Kampf auch zerrissen und zerfranst worden war, waren überall Blutstropfen verspritzt.
»Das war diese verdammte Katze«, sagte er und unterbrach, indem er seine farblosen Augen auf mich richtete, sein Stöhnen. »Sie fiel über mich her, während ich schlief. Ich glaube, sie wird mich eines Tages umbringen.«
Das war zu viel für mich. Ich ging in die Küche, nahm ein Beil von der Anrichte und suchte das teuflische Biest, um es hier und jetzt zu erledigen. Meine Suche verlief ergebnislos, und ich gab sie nach einer Weile auf und kehrte zurück ins Zimmer,wo ich Mr. Wilde in seinem Lehnstuhl am Tisch hockend vorfand. Er hatte sich das Gesicht gewaschen und die Kleider gewechselt. Die großen Scharten, die die Katzenklauen in sein Gesicht gerissen hatten, hatte er mit Kollodium bestrichen, und ein Tuchfetzen bedeckte die Wunde an seiner Kehle. Ich sagte ihm, daß ich die Katze umbringen würde, wenn sie mir über den Weg liefe, aber er schüttelte nur den Kopf und wandte sich dem geöffneten Buch, das vor ihm lag, zu. Er las Namen um Namen der Menschen, die wegen ihres guten Rufes zu ihm gekommen waren, und die Summe, die er zusammengetragen hatte, war erstaunlich.
»Dann und wann ziehe ich die Schraube an«, erklärte er.
»Eines Tages wird einer von diesen Menschen Sie ermorden«, sagte ich eindringlich.
»Glauben Sie?« sagte er und rieb seine verstümmelten Ohren.
Es war sinnlos, mit ihm zu streiten, also nahm ich das Manuskript mit dem Titel ›Die Kaiserliche Dynastie von Amerika‹ zum allerletzten Mal in Mr. Wildes Arbeitszimmer zur Hand. Ich las es, gespannt und zitternd vor Freude, durch. Als ich es beendet hatte, nahm Mr. Wilde das Manuskript und rief, indem er sich dem dunklen Flur zuwandte, der von seinem Arbeitszimmer ins Schlafzimmer führte, mit lauter Stimme: »Vance.« Erst jetzt bemerkte ich einen Mann, der dort im Halbdunkel hockte. Warum ich ihn auf meiner Suche nach der Katze übersehen hatte, ist mir unbegreiflich.
»Vance, kommen Sie herein«, rief Mr. Wilde.
Die Gestalt erhob sich und kroch auf uns zu, und ich werde niemals das Gesicht, das von dem durchs Fenster fallenden Licht erhellt wurde, vergessen.
»Vance, das ist Mr. Castaigne«, sagte Mr. Wilde. Bevor er seine Worte beendet hatte, warf sich der Mann schreiend und nach Luft schnappend vor dem Tisch auf den Boden. »Oh Gott! Oh, mein Gott! Hilf mir. Vergib mir – Ach, Mr. Castaigne, bringen Sie diesen Mann fort. Sie können das nicht, Sie können das nicht beabsichtigen! Sie sind anders – retten Sie mich! Ich bin am Ende – ich war im Irrenhaus und jetzt – als alles gut werden sollte – als ich den König – den König in Gelb vergessen hatte und – aber ich werde wieder verrückt – ich werde verrückt –«
Seine Stimme erstarb in einem erstickten Keuchen, denn Mr. Wilde war auf ihn gesprungen, und seine rechte Hand umklammerte die Kehle des Mannes. Als Vance auf dem Boden zusammensackte, kletterte Mr. Wilde behende in seinen Stuhl zurück und rieb sich das verstümmelte Ohr mit dem Handstumpf, wandte sich zu mir und bat mich um das Buch. Ich reichte es ihm vom Regal herunter, und er öffnete es. Nachdem er die säuberlich beschriebenen Seiten einen Augenblick lang suchend überflogen hatte, hüstelte er selbstgefällig und deutete auf den Namen Vance.
»Vance«, las er laut, »Osgood Oswald Vance.« Beim Klang seines Namens hob der Mann auf dem Boden den Kopf und wandte Mr. Wilde ein verzerrtes Gesicht zu. Seine Augen waren blutunterlaufen, seine Lippen geschwollen. »Anruf am 28. April«, fuhr Mr. Wilde fort. »Beruf: Kassierer in der Seaforth National Bank; hat in Sing Sing eine Strafe wegen Betruges abgesessen, von wo er in eine Klinik für gemeingefährliche Geisteskranke überführt wurde. Vom Gouverneur von New York begnadigt und am 19. Januar 1918 aus dem Heim entlassen. Guten Ruf in Sheepshead Bay verloren. Gerüchte, daß er über seine Verhältnisse lebt. Guter Ruf soll unverzüglich wiederhergestellt werden. Honorarvorschuß 1500 Dollar.
Anmerkung: Hat seit 20. März 1919 Summen in Höhe von 20 000 Dollar unterschlagen; ausgezeichnete Familie und zur Zeit gesicherte Position durch
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