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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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die Straße starrte, bemerkte mich und kam herüber, um mir eine Geschichte des Elends zu erzählen. Ich gab ihm Geld, ich weiß nicht, warum, und er ging davon, ohne mir zu danken. Eine Stunde später näherte sich mir ein weiterer Bettler und leierte seine Geschichte herunter. Ich hatte ein leeres Stück Papier in meiner Tasche, das das Gelbe Zeichen trug, und ich reichte es ihm. Er sah es einen Augenblick lang verständnislos an, faltete es dann mit einem unsicheren Blick auf mich mit, wie mir schien, übertriebener Vorsicht zusammen und barg es an seiner Brust.
    Die elektrischen Lichter leuchteten zwischen den Bäumen, und der zunehmende Mond stand am Himmel über der Todeskammer. Es war langweilig, auf dem Platz zu warten. Ich wanderte von dem Marmorbogen zu den Artilleriestallungen und wieder zurück zum Lotusbrunnen. Die Blumen und das Gras strömten einen Duft aus, der mich verwirrte. Der Wasserstrahl des Brunnens spielte im Mondlicht, und das melodische Plätschern fallender Tropfen erinnerte mich an das Klirren der Kettenpanzer in Hawberks Laden. Aber es war nicht so fesselnd, und das eintönige Glitzern des Mondlichtes auf dem Wasser erzeugte nicht dieselben Gefühle außergewöhnlicher Freude wie der Sonnenstrahl, wenn er auf dem polierten Stahl eines Brustharnischs auf Hawberks Knie spielte. Ich sah zu, wie die Fledermäuse über den Wasserpflanzen im Brunnenbecken kreuz und quer dahinschossen, aber ihr rascher, unruhiger Flug spannte meine Nerven zum Zerreißen, und ich ging wieder davon, um ziellos zwischen den Bäumen auf und ab zu wandern.
    Die Artilleriestallungen waren dunkel, aber in den Kavalleriekasernen waren die Offiziersfenster hell erleuchtet, und das Ausfalltor füllte sich ständig mit diensttuenden Kavalleristen, die Stroh und Geschirr und Körbe voller Zinnteller schleppten.
    Zweimal wurde die berittene Wache vor den Toren abgelöst, während ich den Asphaltweg auf und ab wanderte. Ich sah auf meine Uhr. Es war fast soweit. Die Lichter in den Kasernen gingen nacheinander aus, das vergitterte Tor wurde geschlossen, und alle paar Minuten trat ein Offizier durch eine Seitenpforte ein und erfüllte die Nacht mit dem Gerassel seiner Ausrüstung und dem Klirren seiner Sporen. Der Platz war sehr still geworden. Der letzte heimatlose Herumstreunende war von dem graubemantelten Parkwächter vertrieben worden, die Fahrbahn entlang der Wooster Street war verlassen, und das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach, war das Stampfen des Wachpostenpferdes und das Klirren seines Säbels gegen den Sattelknauf. In den Kaser- nen waren die Offiziersunterkünfte noch immer erleuchtet, und Dienstburschen eilten vor den Erkerfenstern hin und her. Es schlug zwölf vom neuen Kirchturm der St.-Francis-Xavier-Kirche, und beim letzten Schlag der melancholischen Glocke trat eine Gestalt durch das kleine Tor neben dem Fallgatter, erwiderte den Gruß des Wachpostens und trat, nachdem er die Straße überquert hatte, in den Park ein und näherte sich dem Benedick-Apartmenthaus.
    »Louis«, rief ich.
    Der Mann machte auf seinen gespornten Absätzen kehrt und kam geradewegs auf mich zu.
    »Bist du das, Hildred?«
    »Ja. Du bist pünktlich gekommen.«
    Ich nahm seine dargebotene Hand, und wir schlenderten auf die Todeskammer zu.
    Er plauderte wieder über seine Hochzeit und über die Vorzüge von Constance und ihre Zukunftsaussichten und lenkte meine Aufmerksamkeit auf seine Kapitänsstreifen und die dreifache Goldarabeske auf seinen Ärmeln und seiner Dienstmütze. Ich glaube, ich lauschte der Musik seiner Sporen und seines Säbels ebenso aufmerksam wie seinem kindischen Geschwätz, und schließlich standen wir unter den Ulmen an der Ecke des Platzes, die an die Forth Street angrenzt, gegenüber der Todeskammer. Er lachte und fragte mich, was ich von ihm wolle. Ich führte ihn zu einer Bank unter der Straßenlaterne und setzte mich neben ihn. Er sah mich neugierig an, mit demselben eindringlichen Blick, den ich an Ärzten so hasse und fürchte. Ich spürte die Beleidigung in seinem Blick, aber er wußte es nicht, und ich verbarg meine Gefühle sorgfältig.
    »Nun, alter Knabe«, fragte er, »was kann ich für dich tun?« Ich zog das Manuskript und die Aufzeichnungen der Kaiserlichen Dynastie von Amerika aus der Tasche, sah ihm in die Augen und sagte:
    »Das will ich dir sagen. Gib mir dein Wort als Soldat, daß du dieses Manuskript von Anfang bis zum Ende liest, ohne mir eine Frage zu stellen. Versprich mir, diese

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