Der gelbe Tod
möchte dir etwas vorschlagen. Seit vier Jahren schließt du dich jetzt hier wie eine Eule ein, gehst nirgendwo hin, treibst keinen Sport und tust verdammt nochmal nichts anderes, als über den Büchern dort auf dem Kaminsims zu hocken.«
Sein Blick glitt an den Regalreihen entlang. »Napoleon, Napoleon, Napoleon!« las er. »Um Himmels willen, hast du nichts anderes als Napoleon da?«
»Ich wollte, sie wären in Gold gebunden«, sagte ich. »Aber warte, ja, es gibt noch ein anderes Buch, ›Der König in Gelb‹«. Ich sah ihm fest in die Augen.
»Hast du es nicht gelesen?« fragte ich.
»Ich? Nein, Gott sei dank, nicht. Ich möchte nicht in den Wahnsinn getrieben werden.« Ich sah, daß er seine Worte im selben Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte, bereute. Es gibt nur ein Wort, das ich mehr hasse als das Wort verrückt, und das ist das Wort wahnsinnig. Aber ich beherrschte mich und fragte ihn, warum er den ›König in Gelb‹ für gefährlich hielt.
»Ach ich weiß nicht«, sagte er hastig. »Ich erinnere mich nur an die Aufregung, die es verursachte und an die Ablehnung durch die Kirche und die Presse. Ich glaube, der Autor hat sich eine Kugel in den Kopf geschossen, nachdem er diese Ungeheuerlichkeit herausgebracht hatte, oder nicht?«
»Soweit ich weiß, lebt er noch«, antwortete ich.
»Das stimmt sicherlich«, murmelte er, »Kugeln könnten einen Unmenschen wie diesen nicht töten.«
»Das Buch enthält große Wahrheiten«, sagte ich.
»Ja«, erwiderte er, »Wahrheiten, die Menschen zur Raserei treiben und ihr Leben vernichten. Mir ist es gleichgültig, ob das Buch, wie man sagt, der Gipfel der Kunst ist. Es zu schreiben, war ein Verbrechen, und ich für mein Teil werde es nie zur Hand nehmen.«
»Bist du gekommen, um mir das zu sagen?« fragte ich.
»Nein«, sagte er, »ich bin gekommen, um dir zu sagen, daß ich heiraten werde.«
Ich glaube, für einen Augenblick blieb mir das Herz stehen, aber ich wandte den Blick nicht von ihm ab.
»Ja«, fuhr er glücklich lächelnd fort, »ich werde das süßeste Mädchen der Welt heiraten.«
»Constance Hawberk«, sagte ich mechanisch.
»Woher weißt du das?« rief er erstaunt aus. »Ich selbst weiß es erst seit jenem Abend im letzten April, als wir einen Abendspaziergang hinunter zum Flußufer machten.«
»Wann ist es soweit?« fragte ich.
»Es war für nächsten September geplant, aber vor einer Stunde kam eine Depesche, die unser Regiment zur Hauptkommandantur in San Francisco beorderte. Wir werden morgen mittag aufbrechen. Morgen«, wiederholte er. »Denk nur, Hildred, morgen werde ich der glücklichste Mensch sein, der je in dieser schönen Welt geatmet hat, denn Constance wird mit mir gehen.«
Ich bot ihm die Hand und beglückwünschte ihn, und er ergriff sie und schüttelte sie wie der gutmütige Narr, der er war – oder vorgab, zu sein.
»Ich werde meine Schwadron als Hochzeitsgeschenk übernehmen«, plapperte er weiter. »Captain und Frau Louis Castaigne, was Hildred?«
Dann erzählte er mir, wo es stattfinden würde und wer eingeladen war und nahm mir das Versprechen ab, daß ich kommen und Trauzeuge sein würde. Ich hielt meinen Mund und hörte seinem kindischen Geschwätz zu, ohne meine Gefühle zu zeigen, aber –
Meine Geduld war am Ende, und als er aufsprang und gegen seine Sporen schlug, daß sie klirrten und sagte, er müsse gehen, hielt ich ihn nicht zurück.
»Um eines möchte ich dich bitten«, sagte ich ruhig.
»Heraus damit, es ist schon gewährt«, lachte er.
»Ich möchte, daß du dich heute nacht für eine Viertelstunde auf ein Gespräch mit mir triffst.«
»Natürlich, wenn dir daran liegt«, sagte er ein wenig erstaunt. »Wo?«
»Irgendwo. Dort im Park.«
»Um welche Zeit, Hildred?«
»Mitternacht.«
»Was in Teufels Namen –« begann er, beherrschte sich aber und willigte lachend ein. Ich sah ihm nach, als er die Treppen hinunterstieg und davoneilte, während sein Säbel bei jeden Schritt klirrte. Er bog in die Bleecker Street ein, und ich wußte, daß er Constance besuchen würde. Ich gab ihm zehn Minuten, zu verschwinden, dann folgte ich ihm auf den Fersen und nahm die juwelenbesetzte Krone und dem mit gelben Zeichen bestickten Seidenumhang mit mir. Als ich die Bleecker Street erreichte und durch die Tür eintrat, die das Schild
MR. WILDE
WIEDERHERSTELLER DES GUTEN RUFES
3. KLINGEL
trug, sah ich den alten Hawberk in seinem Laden umherlaufen und glaubte, Constances Stimme aus dem Wohnzimmer
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