Der gelbe Tod
Aufzeichnungen in derselben Weise zu lesen, und versprich mir, dem zuzuhören, was ich dir danach zu sagen habe.«
»Ich verspreche es, wenn du es wünscht«, sagte er freundlich. »Gib mir das Papier, Hildred.«
Er hob seine Augenbrauen auf eine überraschte und sonderbare Art, die mich vor unterdrückter Wut zittern machte und begann zu lesen. Während er las, runzelte er die Augenbrauen, und seine Lippen schienen das Wort ›Unsinn‹ zu formen.
Dann sah er ein wenig gelangweilt aus, schien aber um meinetwillen weiter zu lesen, wobei er sich bemühte, Interesse zu zeigen, was ihm plötzlich nicht mehr schwerfiel. Er stutzte, als er auf den eng beschriebenen Seiten auf seinen eigenen Namen stieß, und als er bei meinem anlangte, senkte er das Papier und sah mich einen Augenblick lang scharf an. Aber er hielt sein Wort und fuhr fort zu lesen, und ich ließ die unausgesprochene Frage unbeantwortet auf seinen Lippen verstummen. Als er zum Schluß kam und Mr. Wildes Unterschrift las, faltete er das Papier sorgfältig zusammen und gab es mir zurück. Ich überreichte ihm die Aufzeichnungen, und er lehnte sich zurück und schob dabei mit einer jungenhaften Geste, an die ich mich noch so gut aus der Schulzeit erinnerte, seine Dienstmütze aus der Stirn zurück. Ich beobachtete sein Gesicht, als er las, und als er zum Ende kam, nahm ich die Aufzeichnungen zusammen mit dem Manuskript und steckte sie in meine Tasche zurück. Dann entfaltete ich eine Schriftrolle, die das Gelbe Zeichen trug. Er sah das Zeichen, schien es aber nicht zu erkennen, und ich lenkte etwas ungeduldig seine Aufmerksamkeit darauf.
»Es ist das Gelbe Zeichen«, sagte ich verärgert.
»Ach, ist es das?« sagte Louis mit dieser schmeichlerischen Stimme, die Doktor Archer im Umgang mit mir anzunehmen pflegte und sicherlich weiterhin annehmen würde, hätte ich nicht mit ihm abgerechnet.
Ich unterdrückte meine Wut und antwortete so ruhig wie möglich: »Hör zu, du hast mir dein Wort gegeben.«
»Ich höre dir zu, alter Junge«, erwiderte er beschwichtigend.
Ich begann, sehr ruhig zu sprechen.
»Dr. Archer, der auf irgend eine Weise in den Besitz des Geheimnisses der Kaiserlichen Thronfolge gelangt ist, versuchte, mich meiner Rechte zu berauben, indem er vorgab, daß ich infolge meines Sturzes vom Pferd vor vier Jahren schwachsinnig geworden sei, und er erdreistete sich, mich in seinem Haus in Gewahrsam zu nehmen, in der Hoffnung, mich entweder in den Wahnsinn zu treiben oder mich zu vergiften. Ich habe es nicht vergessen. Ich habe ihm letzte Nacht einen Besuch abgestattet, und die Unterredung war endgültig.«
Louis wurde bleich, bewegte sich aber nicht. Ich fuhr triumphierend fort: »Es gibt noch drei Menschen, mit denen ich mich in Mr. Wildes und meinem Interesse unterhalten muß. Dies sind mein Vetter Louis, Mr. Hawberk und seine Tochter Constance.«
Louis sprang auf die Füße, und ich erhob mich auch und warf das Papier mit dem Gelben Zeichen zu Boden.
»Ich brauche dir nichts zu erzählen, was ich zu sagen habe«, rief ich mit einem triumphierenden Gelächter.
»Du mußt mir die Krone abtreten, hörst du, mir .«
Louis sah mich bestürzt an, nahm sich aber zusammen und sagte liebenswürdig: »Natürlich trete ich dir die – was muß ich dir abtreten?«
»Die Krone«, sagte ich wütend.
»Natürlich«, antwortete er, »ich trete sie ab. Komm, alter Junge, ich werde mit dir zu deiner Wohnung zurückgehen.«
»Versuch nicht, mich mit den Tricks des Doktors hereinzulegen«, rief ich, zitternd vor Wut, aus. »Tu nicht so, als hieltest du mich für wahnsinnig.«
»So ein Unsinn«, antwortete er. »Komm, es wird spät, Hildred.«
»Nein«, schrie ich, »du mußt mir zuhören. Du darfst nicht heiraten, ich verbiete es. Hörst du? Ich verbiete es. Du wirst auf die Krone verzichten, und als Belohnung gewähre ich dir die Verbannung, aber wenn du dich weigerst, wirst du sterben.«
Er versuchte, mich zu beruhigen, aber ich war nun endgültig erzürnt, zog mein langes Messer und versperrte ihm den Weg.
Dann erzählte ich ihm, wie sie Dr. Archer mit aufgeschnittener Kehle in seinem Keller finden würden, und ich lachte ihm ins Gesicht bei dem Gedanken an Vance und sein Messer und den von mir unterschriebenen Befehl.
»Ja, du bist der König«, rief ich, »aber ich werde König sein. Wer bist du, daß du mich an der Macht über die ganze bewohnbare Erde hindern könntest? Ich bin geboren als der Vetter eines Königs, aber ich werde König
Weitere Kostenlose Bücher