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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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um selbst Boris zu sehen.«
    Ich wartete und kam zu Kräften. Nach ein paar Tagen konnte ich sehen, wen ich wollte, aber in der Zwischenzeit hatte ich nachgedacht und mich erinnert. Von dem Augenblick an, als das Vergangene wieder klar vor meinem Geist aufstieg, hatte ich keine Zweifel mehr, was ich tun würde, wenn die Zeit gekommen wäre, und ich war sicher, daß Boris sich für denselben Weg entschieden hätte, soweit er betroffen war. Was nur mich allein betraf, wußte ich, daß er auch das auf dieselbe Weise betrachten würde wie ich. Ich fragte nach niemandem mehr. Ich fragte nie, warum keine Nachricht von ihnen zu mir drang, warum ich während der Woche, in der ich lag und wartete und kräftiger wurde, ihren Namen nicht nennen hörte. Von meiner eigenen Suche nach dem richtigen Weg und von meinem schwachen, aber entschlossenen Kampf gegen die Verzweiflung ganz in Anspruch genommen, nahm ich Jacks Schweigen einfach hin, in der Annahme, daß er sich fürchtete, von ihnen zu sprechen, damit ich nicht widerspenstig würde und darauf bestände, sie zu sehen. Inzwischen sagte ich mir immer wieder, wie es sein würde, wenn das Leben für uns alle wieder begann. Wir würden unsere Beziehung wieder aufnehmen, so wie sie vor Genevièves Krankheit gewesen war, Boris und ich würden uns in die Augen sehen, und es würde weder Groll noch Feigheit oder Mißtrauen in diesem Blick liegen. Ich würde noch eine Weile bei ihnen bleiben, in der geliebten Vertrautheit ihres Heimes und würde dann ohne Ankündigung oder Erklärung für immer aus ihrem Leben verschwinden. Boris würde wissen, warum, Geneviève – der einzige Trost war, daß sie es nie erfahren würde. Als ich darüber nachdachte, schien mir, daß ich die Bedeutung dieses Gefühls der Verpflichtung gefunden hatte, das mich durch mein Delirium verfolgt hatte, und daß dies die einzig mögliche Antwort darauf war. Als ich daher bereit war, bat ich Jack eines Tages zu mir und sagte:
    »Jack, ich möchte Boris sofort sehen, und überbring Geneviève meine besten Grüße ...«
    Als er mir schließlich zu verstehen gab, daß beide tot waren, fiel ich in wilde Raserei, die meine ärmliche, genesende Kraft in ihre Atome zersprengte. Ich tobte und fluchte, bis ich einen Rückfall erlitt, von dem ich mich einige Wochen später aufraffte, ein eintindzwanzigjähriger Junge, der glaubte, daß seine Jugend für immer vergangen sei. Meine Leidensfähigkeit schien erschöpft, und als Jack mir eines Tages einen Brief und die Schlüssel zu Boris’ Haus überreichte, nahm ich sie ohne Zittern an mich und bat ihn, mir alles zu erzählen. Es war grausam von mir, ihn darum zu bitten, aber es gab keine andere Wahl, und er stützte sich müde auf seine mageren Hände, um die Wunde wieder aufzureißen, die niemals ganz heilen konnte. Er begann sehr ruhig.
    »Alec, wenn du nicht eine Erklärung hast, von der ich nichts weiß, wirst du nicht in der Lage sein, mehr von dem, was geschehen ist, zu verstehen als ich. Ich vermute, du würdest die Einzelheiten lieber nicht erfahren, aber du mußt sie wissen, sonst würde ich dir diesen Bericht ersparen. Gott weiß, daß ich wünsche, ich könnte mich mit dieser Erzählung verschonen. Ich werde nicht viele Worte machen.
    An dem Tag, als ich dich in der Obhut des Doktors zurückließ und zu Boris zurückkehrte, traf ich ihn an den ›Schicksalsgöttinnen‹ arbeitend an. Geneviève schlief, wie er sagte, unter dem Einfluß von Medikamenten. Sie sei ziemlich außer sich gewesen, sagte er. Er setzte seine Arbeit schweigend fort, und ich sah ihm zu. Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, daß die dritte Figur der Gruppe – diejenige, die genau geradeaus schaut, über die Welt hinaus – sein Gesicht trug, nicht so, wie du es je gesehen hast, sondern so, wie es damals und bis zum Schluß aussah. Das ist eines der Dinge, für die ich gerne eine Erklärung finden würde, aber das wird wohl niemals geschehen.
    Nun, er arbeitete, und ich sah ihm schweigend zu, und so harrten wir aus, bis es fast Mitternacht war. Dann hörten wir, wie eine Tür geöffnet und wieder zugeschlagen wurde, dann ein eiliges Rennen nebenan. Boris hastete durch den Flur, und ich folgte ihm, aber wir kamen zu spät. Sie lag, mit über der Brust gefalteten Händen, auf dem Grund des Beckens. Darauf schoß sich Boris eine Kugel ins Herz.« Jack hielt inne, Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, und seine hageren Wangen zuckten. »Ich trug Boris in sein Zimmer. Dann kehrte ich um und

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