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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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Bilder, wie alle Künstler, die nicht in Geldnot sind. Ich mache mir keine Sorgen um mich, aber ich bin unruhiger, als wenn es so wäre. Es gelingt mir nicht, eine eigenartige Sorge um dich abzuschütteln. Es ist keine Vorahnung, sondern eher eine atemlose Erwartung, von was, weiß nur der Himmel! Ich kann nur sagen, daß es mich zermürbt. Ich träume jede Nacht von dir und Boris. Hinterher kann ich mich an nichts mehr erinnern, aber ich wache morgens mit klopfendem Herzen auf, und den ganzen Tag über steigert sich die Erregung, bis ich abends einschlafe und sich dasselbe Erlebnis wiederholt. Ich bin von all dem ziemlich erschöpft und habe mich entschlossen, diesem krankhaften Zustand ein Ende zu bereiten. Ich muß dich sehen. Soll ich nach Bombay fahren, oder wirst du nach Paris kommen?«
    Ich telegraphierte ihm, er solle mich mit dem nächsten Dampfer erwarten.
    Als wir uns trafen, fand ich, daß er sich nur wenig verändert hatte. Er bestand darauf, daß ich blendend aussähe. Es war gut, seine Stimme wieder zu hören, und als wir so dasaßen und darüber plauderten, was das Leben noch für uns bereithielt, stellten wir fest, daß das Leben schön war an dem hellen Frühlingstag.
    Wir blieben in Paris eine Woche zusammen, dann ging ich eine Woche nach Ept mit ihm, aber zu allererst besuchten wir den kleinen Friedhof in Sèvres, wo Boris begraben lag.
    »Sollen wir die ›Schicksalsgöttinnen‹ in dem kleinen Hain über ihm aufstellen?« fragte Jack, und ich antwortete:
    »Ich glaube, nur die ›Madonna‹ sollte über Boris’ Grab wachen.« Aber Jack ging es durch mein Kommen keine Spur besser. Die Träume, von denen er auch nicht den geringsten klaren Umriß behalten konnte, hielten an, und er sagte, daß das Gefühl atemloser Erwartung zeitweise erdrückend sei.
    »Siehst du, ich schade dir, anstatt dir gutzutun«, sagte ich. »Probier es mit einem Ortswechsel ohne mich.« Also brach er zu einer Fahrt zwischen den Kanalinseln auf, und ich kehrte nach Paris zurück. Ich hatte Boris’ Haus seit meiner Rückkehr noch nicht betreten, aber ich wußte, daß es sein mußte. Jack hatte es in Ordnung gehalten, außerdem waren Bedienstete da, also gab ich meine Wohnung auf und zog in das Haus um. Anstelle der inneren Unruhe, die ich befürchtet hatte, fand ich mich in der Verfassung, sehr ruhig zu malen. Ich betrat alle Räume – alle, außer einem. Ich konnte es nicht über mich bringen, das Marmorzimmer zu betreten, in dem Geneviève lag, und doch spürte ich, wie das Verlangen täglich in mir wuchs, ihr ins Gesicht zu sehen, neben ihr niederzuknien.
    An einem Nachmittag im April lag ich träumend im Rauchzimmer, so wie ich vor zwei Jahren darin gelegen hatte und suchte mechanisch unter den lohfarbenen Orientteppichen nach dem Wolfsfell. Schließlich entdeckte ich die spitzen Ohren und den flachen, grausamen Kopf, und ich erinnerte mich an meinen Traum, in dem ich Geneviève daneben hatte liegen sehen. Die Helme hingen noch immer an den fadenscheinigen Wandteppichen, unter ihnen die alte spanische Sturmhaube, die Geneviève, wie ich mich erinnerte, einmal aufgesetzt hatte, als wir uns mit den alten Rüstungen vergnügt hatten. Mein Blick fiel auf das Spinett. Jede der gelben Tasten schien ein beredter Zeuge ihrer liebkosenden Hand, und ich erhob mich, von der Kraft der Leidenschaft meines Lebens zu der versiegelten Tür des Marmorzimmers gezogen. Die schweren Türen schwangen unter meinen bebenden Händen zurück. Sonnenlicht strömte durch das Fenster, tauchte Cupidos Flügel in Gold und verweilte wie ein Heiligenschein auf der Stirn der Madonna. Ihr sanftes Gesicht beugte sich mitleidvoll über eine Marmorgestalt von so außergewöhnlicher Reinheit, daß ich niederkniete und mich bekreuzigte. Geneviève lag im Schatten unter der Madonna, und doch sah ich durch ihre weißen Arme hindurch die blaßblaue Vene, und unter ihren sanft verschlungenen Händen waren die Falten ihres Kleides rosa gefärbt wie von einem schwachen, warmen Licht in ihrer Brust.
    Mein Herz drohte zu zerspringen, als ich mich über sie beugte und das marmorne Gewand mit den Lippen berührte. Dann schleppte ich mich zurück in das schweigende Haus.
    Ein Dienstmädchen kam und brachte mir einen Brief, und ich setzte mich in den Wintergarten, um ihn zu lesen. Ich war gerade im Begriff, das Siegel zu erbrechen, als ich sah, daß das Mädchen zögerte, und ich fragte sie, was sie wolle.
    Sie stammelte etwas von einem weißen Kaninchen, das im Haus

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