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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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gefangen worden sei und fragte, was damit geschehen solle. Ich sagte ihr, sie solle es in dem umzäunten Garten hinter dem Haus freilassen und öffnete meinen Brief. Er war von Jack, aber so zusammenhanglos, daß ich dachte, er hätte den Verstand verloren. Es stand nichts darin, als eine Reihe von Bitten an mich, das Haus nicht zu verlassen, bis er zurück sein konnte. Er konnte mir nicht sagen, warum, da waren diese Träume, wie er schrieb. Er konnte nichts erklären, aber er war sicher, daß ich das Haus in der Rue Sainte-Cécile nicht verlassen durfte.
    Als ich fertig war mit Lesen, hob ich die Augen und sah dasselbe Dienstmädchen in der Tür stehen. Sie hielt eine Glasschüssel in der Hand, in der zwei Goldfische schwammen. »Legen Sie sie zurück in das Glas, und erklären Sie mir, was Sie sich dabei denken, mich zu stören«, sagte ich.
    Mit halb unterdrücktem Gemurmel leerte sie Wasser und Fische in ein Aquarium in der Ecke des Wintergartens und bat mich, indem sie sich zu mir umwandte, sie aus meinem Dienst zu entlassen. Sie sagte, daß die Leute ihr Streiche spielten, offensichtlich mit der Absicht, sie in Schwierigkeiten zu bringen: das Marmorkaninchen war gestohlen und ein lebendes an seiner Stelle ins Haus gebracht worden; die wundervollen Marmorfische waren verschwunden, und sie hatte gerade diese beiden gewöhnlichen Kreaturen auf dem Boden des Eßzimmers zappelnd gefunden. Ich beruhigte sie und schickte sie fort und versprach ihr, mich selbst umzusehen. Ich ging zum Atelier, dort gab es nichts als meine Ölbilder und einige Gipsabdrücke und die marmorne Osterlilie. Ich sah sie auf einem Tisch am anderen Ende des Raumes liegen und ging ärgerlich zu ihr hinüber. Aber die Blume, die ich vom Tisch aufhob, war frisch und zerbrechlich und erfüllte die Luft mit ihrem Duft.
    Da verstand ich plötzlich und eilte durch den Flur zum Marmorzimmer. Die Türen schwangen auf, Sonnenlicht strömte in mein Gesicht, und durch es hindurch lächelte die Madonna in himmlischer Huld, als Geneviève das gerötete Gesicht von ihrem Marmorlager hob und ihre schläfrigen Augen öffnete.

Im Hof
des Drachen
    »Oh, Du, der Du brennst im Herzen für jene, die brennen in der Hölle, deren Feuer Du selbst der Reihe nach wirst nähren: Wie lange noch wirst Du rufen ›Gott, sei ihnen gnädig!‹ Wahrhaftig, wer bist Du, daß Du lehrst, und wer ist er, daß er lernt?«
    I
    In der St.-Barnabé-Kirche war das Abendmahl vorüber. Der Geistliche verließ den Altar, die kleinen Meßdiener sammelten sich auf dem Altarplatz und ließen sich in den Chorstühlen nieder. Ein Schweizer Gardist in prunkvoller Uniform kam durch das südliche Seitenschiff heruntermarschiert und ließ bei jeden vierten Schritt seinen Stab auf dem Steinfußboden ertönen. Ihm folgte jener redegewandte Pfarrer und Hausherr, Monsignore C-.
    Mein Stuhl befand sich in der Nähe des Chorgitters. Ich wandte mich jetzt zur westlichen Seite der Kirche um. Die anderen Menschen zwischen Altar und Kanzel folgten meinem Beispiel. Es entstand ein leises Kratzen und Scharren, als die Gemeinde ihre Plätze wieder einnahm. Der Prediger stieg die Kanzelstufen hinauf, und die Orgel verstummte.
    Ich hatte das Orgelspiel in St. Barnabé schon immer höchst interessant gefunden. Gelehrt und wissenschaftlich war es, für meine geringe Kenntnis zu wissenschaftlich, zeugte aber von lebhafter, wenn auch kalter Intelligenz. Darüber hinaus besaß es die französische Eigenart des Geschmacks: der Geschmack herrschte unangefochten, selbstbeherrscht, würdevoll und zurückhaltend.
    Heute hatte ich jedoch vom ersten Chor eine Wandlung zum Schlechten, eine finstre Wandlung, gespürt. Während des Abendmahls hatte hauptsächlich die Altarorgel den wundervollen Chor begleitet, aber hin und wieder hatte es, anscheinend vollkommen willkürlich, von der westlichen Empore, auf der die große Orgel stand, zu dem heiteren Frieden dieser klaren Stimmen erbarmungslos durch die Kirche gedröhnt. Es war irgendwie mehr als nur grell und unharmonisch, und es verriet keinen Mangel an Können. Als es immer wiederkehrte, ließ es in mir den Gedanken daran aufsteigen, was in meinem Architekturbuch über den Brauch aus früheren Zeiten steht, den Chor zu segnen, sobald er gebaut war, während das Schiff, das oft erst ein halbes Jahrhundert später fertiggestellt wurde, dann überhaupt keinen Segen erhielt. Ich stellte mir die müßige Frage, ob das in St. Barnabé der Fall gewesen war und ob etwas, das

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