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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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ließ die teuflische Lösung aus dem Becken und wusch, indem ich alle Wasserleitungen aufdrehte, jeden einzelnen Tropfen von dem Marmor. Als ich es schließlich wagte, die Treppen hinunterzusteigen, lag sie dort, weiß wie Schnee. Als ich mich endlich entschieden hatte, was zu tun sei, begab ich mich ins Laboratorium. Als erstes leerte ich das Becken in den Abfluß, dann goß ich den Inhalt jeder Schüssel und jeder Flasche hinterher. Der Kamin war mit Holz ausgelegt, also machte ich Feuer und verbrannte, nachdem ich die Schlösser von Boris’ Wandschrank aufgebrochen hatte, jedes Stück Papier, jedes Notizbuch und jeden Brief, den ich darin fand. Mit einem Fäustel aus dem Atelier schlug ich die leeren Flaschen in Scherben, kehrte sie in einen Kohleneimer und trug sie in den Keller, wo ich sie in den glühendheißen Grund des Heizkessels leerte. Sechsmal machte ich den Weg, bis zuletzt keine Spur mehr übrig war, die die Suche nach der Formel, die Boris entdeckt hatte, von neuem begünstigen konnte. Dann erst wagte ich, den Arzt zu holen. Er ist ein guter Mann, und gemeinsam taten wir alles, um es vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Ohne ihn wäre es mir nie gelungen. Zuletzt entlohnten wir die Dienstboten und schickten sie aufs Land, wo der alte Rosier sie mit Geschichten von Boris’ und Genevièves Reisen in ferne Länder beschwichtigt, von denen sie für Jahre nicht zurückkehren würden. Wir begruben Boris auf dem kleinen Friedhof in Sèvres. Der Doktor ist ein guter Mensch und weiß, wann man Mitleid haben muß mit einem Menschen, der am Ende seiner Kraft ist. Er stellte den Totenschein auf Herzversagen aus und stellte keine weiteren Fragen.«
    Dann hob er den Kopf aus den Händen und sagte: »Öffne den Brief, Alec, er ist für uns beide.«
    Ich riß ihn auf. Es war Boris’ Letzter Wille, den er ein Jahr zuvor verfaßt hatte. Er hinterließ alles Geneviève, und für den Fall, daß sie kinderlos starb, sollte ich das Haus in der Rue Sainte-Cécile verwalten und Jack Scott die Leitung in Ept übernehmen. Im Falle unseres Todes fiel der Besitz an die Familie seiner Mutter in Rußland, mit Ausnahme der von ihm selbst geschaffenen Marmorstatuen, die er mir hinterließ.
    Das Geschriebene verschwamm uns vor den Augen, und Jack stand auf und ging zum Fenster. Kurz darauf kam er zurück und setzte sich wieder. Ich fürchtete das, was er sagen würde, aber er sprach mit unveränderter Schlichtheit und Sanftheit.
    »Geneviève liegt vor der Madonna im Marmorzimmer. Die Madonna neigt sich sanft über sie, und Geneviève lächelt zurück in dieses ruhige Gesicht, das nur durch sie existiert.«
    Seine Stimme versagte, aber er ergriff meine Hand und sagte: »Mut, Alec.« Am nächsten Morgen brach er nach Ept auf, um seine Verpflichtung zu erfüllen.
    IV
    Am selben Abend nahm ich die Schlüssel und begab mich in das mir so wohlbekannte Haus. Es war alles säuberlich geordnet, aber die Stille war entsetzlich. Obwohl ich zweimal zur Tür des Marmorzimmers ging, konnte ich mich nicht überwinden, einzutreten. Es ging über meine Kraft. Ich ging hinunter in das Rauchzimmer und setzte mich an das Spinett. Ein kleines Spitzentaschentuch lag auf den Tasten, und ich wandte mich mit einem erstickten Schluchzer ab. Es war klar, daß ich nicht bleiben konnte, also verschloß ich alle Türen und Fenster und den Vorder- und Hintereingang und ging fort. Am nächsten Morgen packte Alcide meinen Koffer. Ich gab ihm den Auftrag, sich um meine Wohnung zu kümmern und nahm den Orient-Expreß nach Konstantinopel. Zu Beginn der zwei Jahre, während derer ich durch den Orient zog, erwähnten wir Geneviève und Boris nie in unseren Briefen, aber nach und nach schlichen sie sich ein. Ich erinnere mich insbesondere an einen von Jacks Antwortbriefen.
    »Was du mir davon erzählst, wie du Boris gesehen hast, der sich über dich beugte, als du krank warst und wie du seine Berührung in deinem Gesicht gespürt und seine Stimme gehört hast, beunruhigt mich natürlich.
    Was du beschreibst, muß zwei Wochen, nachdem er gestorben war, geschehen sein. Ich sage mir immer wieder, daß du träumtest, daß es Teil deines Deliriums war, aber die Erklärung befriedigt mich nicht und dich sicher auch nicht.«
    Gegen Ende des zweiten Jahres erreichte mich ein Brief von Jack in Indien, der so anders war als alles, was ich von ihm kannte, daß ich mich entschloß, sofort nach Paris zurückzukehren. Er schrieb: »Mir geht es gut, und ich verkaufe alle meine

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