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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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will es mir nicht sagen«, murmelte er.
    »Geneviève hat Fieber?« fragte ich.
    »Das will ich meinen. Und sie hatte die ganze Nacht über immer wieder Schwindelanfälle. Denk nur, die fröhliche kleine Geneviève, die keine Sorge auf der Welt hat – sie sagt immer wieder, daß ihr Herz gebrochen sei und daß sie sterben möchte!«
    Mir blieb das Herz stehen.
    Boris lehnte mit niedergeschlagenen Augen an der Tür seines Ateliers, die Hände in den Taschen, seine freundlichen, lebhaften Augen umwölkt, der gute Ausdruck seines Mundes, der vom Lachen herrührte, von einer neuen Sorgenlinie gezeichnet. Das Mädchen hatte Anweisung, ihn augenblicklich zu verständigen, wenn Geneviève die Augen öffnete. Wir warteten und warteten, und Boris, der ungeduldig wurde, wanderte auf und ab und spielte geistesabwesend mit Modellierwachs und rotem Ton. Unvermittelt eilte er zum angrenzenden Raum. »Komm und sieh dir mein rosafarbenes Bad voller Tod an«, rief er.
    »Ist es Tod?« fragte ich, um seine Laune aufzubessern.
    »Du bist nicht bereit, es als Leben zu bezeichnen, nehme ich an«, antwortete er. Indem er sprach, nahm er einen sich drehenden und windenden einsamen Goldfisch aus seinem Glas. »Wir werden diesen hier dem anderen nachschicken, wo immer das auch sein mag«, sagte er. In seiner Stimme lag eine fieberhafte Erregung.
    Ein dumpfer Fieberschmerz legte sich auf meine Glieder und meinen Verstand, als ich ihm zu dem kristallhellen Becken mit den rosa gefärbten Wänden folgte. Er ließ die Kreatur hineingleiten. Im Fall blitzten ihre Schuppen in heißer orangefarbener Glut auf unter den wütenden Zuckungen und Krümmungen. In dem Augenblick, in dem sie in die Flüssigkeit tauchte, wurde sie starr und sank schwer zu Boden. Darauf folgte der milchige Schaum, das herrliche Farbenspiel, das auf der Oberfläche strahlte, und dann brach der Strahl reinen, klaren Lichts aus scheinbar unendlichen Tiefen hervor. Boris fuhr mit der Hand hinein und zog ein vollkommenes Marmording heraus, blaugeädert, rosa getönt und mit schillernden Tropfen bedeckt.
    »Kinderkram«, stieß er mürrisch hervor und sah mich müde und verlangend an – als ob ich eine solche Frage beantworten könnte! Aber Jack Scott trat ein und schaltete sich in das Spiel ein, wie er es begeistert nannte. Sie waren nicht davon abzubringen, das Experiment hier und jetzt mit dem weißen Kaninchen zu versuchen. Es lag in meinem Interesse, daß Boris von seinen Sorgen abgelenkt wurde, aber es widerstrebte mir, zuzusehen, wie das Leben eine warme, lebendige Kreatur verließ, und ich lehnte es ab, dabei zu sein. Ich nahm aufs Geratewohl ein Buch und setzte mich im Atelier nieder, um zu lesen. Leider war mir ›Der König in Gelb‹ in die Hände gefallen. Ich legte es nach wenigen Augenblicken, die mir wie Jahrhunderte erschienen, mit einem nervösen Schauder beiseite, als Boris und Jack mit ihrem Marmorkaninchen hereinkamen. Im selben Augenblick schrillte die Klingel von oben und ein Schrei drang aus dem Krankenzimmer. Schnell wie ein Pfeil eilte Boris hinauf, und im nächsten Moment rief er: »Jack, hol schnell den Doktor, bring ihn her. Alec, komm herauf.«
    Ich ging hinauf und blieb an ihrer Tür stehen. Ein verängstigtes Dienstmädchen kam herausgeeilt und rannte nach irgendeiner Medizin. Geneviève saß kerzengerade, mit hochroten Wangen und glänzenden Augen im Bett, murmelte unaufhörlich wirres Zeug und sträubte sich gegen Boris’ sanften Griff. Er rief mich zu Hilfe. Bei meiner ersten Berührung seufzte sie und sank zurück und schloß die Augen. Dann – dann –, während wir uns noch immer über sie beugten, öffnete sie sie wieder, sah Boris fest in die Augen, das arme, fieberverwirrte Mädchen und enthüllte ihr Geheimnis. Im selben Augenblick wurde unser Leben in neue Bahnen gelenkt. Das Band, das uns bis jetzt zusammengehalten hatte, riß für immer entzwei, und an seine Stelle trat ein anderes, denn sie hatte meinen Namen ausgesprochen, und als das Fieber sie marterte, schüttete ihr Herz seine Bürde von verborgenem Kummer aus. Überrascht und benommen senkte ich den Kopf, mein Gesicht brannte wie glühende Kohle, und das Blut rauschte in meinen Ohren und betäubte mich mit seinem Dröhnen. Unfähig, mich zu bewegen, unfähig, zu sprechen, lauschte ich, erfüllt mit Scham und Kummer, ihren Fieberworten. Ich konnte sie nicht beschwichtigen, ich konnte Boris nicht ansehen. Dann fühlte ich einen Arm auf meiner Schulter, und Boris wandte mir sein

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