Der gelbe Tod
blutleeres Gesicht zu.
»Es ist nicht deine Schuld, Alec, gräm dich nicht, weil sie dich liebt –« aber er konnte den Satz nicht beenden. Als der Arzt eilig ins Zimmer trat und sagte: »Ah, das Fieber!« nahm ich Jack Scott beim Arm und drängte ihn hinaus auf die Straße mit den Worten: »Boris möchte lieber allein sein.« Wir überquerten die Straße zu unseren Wohnungen, und er ging in dieser Nacht, als er sah, daß ich auch krank wurde, noch einmal, den Doktor zu holen. Das Letzte, was ich mir mit einiger Deutlichkeit ins Gedächtnis zurückrufen konnte, war, daß ich Jack sagen hörte: »Um Himmels willen, Doktor, was quält ihn, daß er ein solches Gesicht macht?« und ich dachte an den ›König in Gelb‹ und die Bleiche Maske.
Ich war sehr krank, denn die Anspannung der letzten zwei Jahre, die ich seit dem verhängnisvollen Maimorgen ertragen hatte, an dem Geneviève leise geflüstert hatte: »Ich liebe dich, aber ich glaube, ich liebe Boris mehr«, machte sich schließlich an mir bemerkbar. Ich hatte nie für möglich gehalten, daß es meine Kräfte übersteigen könnte. Äußerlich ruhig, hatte ich mich selbst getäuscht. Obwohl in mir Nacht für Nacht der Kampf getobt hatte und ich mich, allein in meinem Zimmer, für meine rebellischen Gedanken verflucht hatte, die treulos gegen Boris und Genevièves nicht würdig waren, hatte der Morgen immer Erleichterung gebracht, und ich war mit einem Herzen zu Geneviève und Boris zurückgekehrt, das reingewaschen war durch die Stürme der Nacht.
Weder durch Worte noch durch Taten oder Gedanken hatte ich, solange ich bei ihnen war, meinen Kummer verraten, nicht einmal mir selbst.
Die Maske der Selbsttäuschung war nicht länger eine Maske, sie war ein Teil meiner selbst geworden. Die Nacht lüftete sie und befreite die verdrängte Wahrheit, die dahinter verborgen lag; aber niemand außer mir konnte sie sehen, und wenn der Tag anbrach, legte sich die Maske ohne mein Zutun wieder davor. Diese Gedanken gingen durch meinen verwirrten Kopf, als ich krank dalag, aber sie waren hoffnungslos verstrickt mit Visionen von weißen Wesen, die, schwer wie Stein, in Boris’ Becken umherkrochen, von dem Wolfskopf am Fell, der fauchend nach Geneviève schnappte, die lächelnd daneben lag. Ich dachte auch an den König in Gelb, eingehüllt in die wundersamen Farben seines zerfetzten Umhangs, und an Cassildas bitteren Schrei: »Nicht über uns, oh König, nicht über uns!« Fieberhaft bemühte ich mich, es abzuschütteln, aber ich sah den See von Hali, dünn und leer, von keiner Welle und von keinem Wind bewegt, und ich sah die Türme von Carcosa hinter dem Mond. Aldebaran, die Hyaden, Alar und Hastur glitten durch die Wolkenrisse, die, als sie vorüberzogen, schlugen und flatterte wie die zerlumpten Fetzen des Königs in Gelb. In all diesem Gewirr blieb ein gesunder Gedanke bestehen. Er wich nicht davon ab, gleichgültig, was sonst in meinem kranken Hirn vorging, daß der Hauptgrund, warum ich am Leben war, ein Wunsch von Boris und Geneviève war, der mir mitgeteilt werden sollte. Was diese Verpflichtung war, welcher Natur sie war, wurde nie klar; manchmal schien es sich um Schutz, manchmal um Hilfe in einer tiefen Krise zu handeln. Was immer es auch jeweils für eine Bedeutung zu haben schien, die Last ruhte allein auf mir, und ich war zu keinem Zeitpunkt so schwach oder so krank, daß ich nicht mit ganzer Seele darauf eingegangen wäre. Es waren immer Scharen von Gesichtern um mich, die meisten davon unbekannt, aber einige erkannte ich, und Boris war unter ihnen. Später sagte man mir, daß das nicht möglich sei, aber ich weiß, daß er sich mindestens einmal über mich beugte. Es war nur eine Berührung, ein schwacher Widerhall seiner Stimme, dann legten sich die Wolken wieder über meine Sinne, und er entglitt mir, aber er stand da und beugte sich über mich, zumindest dieses eine Mal.
Eines Morgens wachte ich schließlich auf und sah das Sonnenlicht auf mein Bett fallen. Jack Scott saß neben mir und las. Ich hatte weder die Kraft, laut zu sprechen, noch konnte ich denken noch weniger mich erinnern, aber ich konnte schwach lächeln, als mich Jacks Blick traf, und als er aufsprang und eifrig fragte, ob ich einen Wunsch hätte, konnte ich flüstern: »Ja, Boris.« Jack ging zum Kopfende meines Bettes und beugte sich nieder, um mein Kissen aufzuschütteln. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er antwortete herzlich: »Du mußt noch warten, Alec, du bist zu schwach,
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