Der gelbe Tod
in der heiteren kleinen Kirche in Sicherheit gewiegt hatte, meine Seele im Hof des Drachen gejagt hatte.
Ich schleppte mich zur Tür, die Orgel schmetterte über mir los. Blendende Helligkeit erfüllte die Kirche und ließ den Altar vor meinen Augen verschwimmen. Die Menschen verblaßten, die Bogen und die gewölbte Decke verschwanden. Ich hob meinen trüben Blick zu dem undurchdringlichen Glanz und sah die schwarzen Sterne am Firmament stehen, und die feuchten Winde vom See von Hali schlugen mir eiskalt ins Gesicht.
Und nun sah ich, weit entfernt, hinter meilenweit sich auftürmenden, trüben Wellen die Türme von Carcosa, die sich hinter dem Mond erhoben.
Der Tod und der furchtbare Wohnort verlorener Seelen hatten ihn für jedes Auge unkenntlich gemacht, außer für meines. Und jetzt hörte ich seine Stimme , sie erhob sich, schwoll donnernd durch das gleißende Licht, und als ich fiel, nahm der Glanz zu und wurde immer stärker und hüllte mich in lodernde Flammen. Dann sank ich in die Tiefe, und ich hörte den König in Gelb meiner Seele zuflüstern: »Es ist entsetzlich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!«
Das gelbe
Zeichen
»Laß den roten Morgen erraten,
Was wir tun werden,
Wenn dieses blaue Sternenlicht erlischt
Und alles vorüber ist.«
I
Es gibt so viele Dinge, für die man keine Erklärung finden kann! Wie kommt es, daß bestimmte Akkorde in der Musik mich an die braune und gelbe Färbung von Herbstlaub erinnern? Wie, daß die Messe in St. Cécile meine Gedanken durch Höhlen wandern läßt, deren Wände von zerklüfteten Massen reinen Silbers leuchten? Was an dem Tosen und Brausen des Broadway um sechs Uhr ließ das Bild eines stillen bretonischen Waldes vor meinen Augen aufleuchten, in dem das Sonnenlicht durch das Frühlingslaub fiel und Sylvia, halb neugierig, halb zärtlich, sich über eine kleine grüne Eidechse beugte und murmelte: »Wenn man bedenkt, daß auch sie ein kleiner Schützling Gottes ist!«
Als ich den Nachtwächter zum ersten Mal erblickte, kehrte er mir den Rücken zu. Ich blickte ihn gleichgültig an, bis er in die Kirche hineinging. Ich schenkte ihm nicht mehr Aufmerksamkeit als irgendeinem anderen Menschen, der an diesem Morgen durch den Washington Square bummelte, und als ich das Fenster schloß und in mein Atelier zurückkehrte, hatte ich ihn bereits vergessen. Am späten Nachmittag öffnete ich das Fenster erneut, denn es war ein warmer Tag und lehnte mich hinaus, um frische Luft zu schöpfen. Ein Mann stand im Vorhof der Kirche, und ich bemerkte ihn mit ebenso wenig Interesse wie am Morgen. Ich ließ meinen Blick über den Platz schweifen, wo der Springbrunnen plät- scherte, und kehrte dann, den Kopf voller verschwommener Eindrücke von Bäumen, Asphaltwegen und unruhigen Gruppen von Kindermädchen und Müßiggängern, zu meiner Staffelei zurück. Als ich mich abwandte, umfaßte mein gleichgültiger Blick auch den Mann unten im Kirchhof. Sein Gesicht war mir jetzt zugewandt, und ich beugte mich mit einer vollkommen unwillkürlichen Bewegung hinaus, um es zu betrachten. Im selben Augenblick hob er den Kopf und sah mich an. Sofort fiel mir eine Sargmade ein. Was es an dem Mann war, das mich abstieß, wußte ich nicht, aber der Eindruck einer plumpen, weißen Grabmade war so intensiv und widerlich, daß es sich in meinem Gesicht widerspiegeln mußte, denn er wandte sein aufgedunsenes Gesicht mit einer Bewegung ab, die mich an eine aufgescheuchte Raupe in einer Kastanie erinnerte.
Ich ging zu meiner Staffelei zurück und bat das Modell, ihre Pose wieder einzunehmen. Nachdem ich eine Weile gearbeitet hatte, konnte ich zufrieden sein, wenn ich das, was ich getan hatte, so schnell wie möglich wieder auslöschte, und ich nahm einen Spatel und kratzte die Farbe wieder ab. Die Hautfarben waren fahl und ungesund, und ich verstand nicht, wie ich so kränkliche Farben in einem Atelier hatte malen können, das vorher von frohen Farben beherrscht worden war.
Ich sah Tessie an. Sie hatte sich nicht verändert, und eine gesunde Röte zog über ihren Nacken, als ich die Stirn runzelte.
»Habe ich etwas falsch gemacht?« fragte sie.
»Nein – ich habe diesen Arm verdorben, und um alles in der Welt kann ich mir nicht vorstellen, warum ich einen solchen Schmutz auf die Leinwand gebracht habe«, antwortete ich.
»Posiere ich nicht gut?« beharrte sie.
»Aber natürlich, ausgezeichnet.«
»Dann ist es nicht meine Schuld?«
»Nein, es ist meine eigene.«
»Das tut
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