Der gelbe Tod
entfernte, schien ihn einem Ziel näher zu bringen, das mit meiner Vernichtung in Verbindung stand.
Ich schleppte mich dahin, meine Füße versagten mir fast den Dienst. In mir begann ein Gefühl der Verantwortung für etwas längst Vergessenes zu erwachen. Die Ahnung begann in mir aufzusteigen, daß ich verdiente, was er mir androhte: es reichte weit in die Vergangenheit – weit, weit, zurück. Es hatte all diese Jahre geschlummert, und doch war es da, und bald würde es sich erheben und vor mir stehen. Aber ich wollte versuchen, zu entkommen, und ich taumelte so schnell ich konnte in die Rue de Rivoli, über den Place de la Concorde und weiter zum Quai. Ich sah mit trüben Augen durch die Sonne, die durch den weißen Schaum des Brunnens blitzte, der sich über die Schultern der finsteren Flußgötter ergoß, zu dem entfernten Bogen, einem Gebilde aus amethystfarbenem Nebel, auf die zahllosen Reihen grauer Stämme und nackter Zweige mit einem Hauch Grün. Dann sah ich ihn wieder. Er kam eine der Kastanienalleen des Cours de la Reine herunter.
Ich verließ das Flußufer, tauchte blindlings in die Champs Elysées und wandte mich zum Arc. Die Strahlen der untergehenden Sonne beschienen die Rasenfläche des Kreisels. Er saß im hellen Schein auf einer Bank inmitten von Kindern und jungen
Müttern. Er war nur ein Sonntagsbummler wie alle anderen, wie ich selbst. Ich stieß die Worte fast laut hervor, und die ganze Zeit über starrte ich sein von böswilligem Haß erfülltes Gesicht an. Aber er sah mich nicht an. Ich schlich mich vorüber und zwang meine bleischweren Füße die Straße hinauf. Ich wußte, daß jede Begegnung ihn der Erfüllung seiner Aufgabe und meines Schicksals näherbrachte. Und dennoch versuchte ich, mich zu retten.
Die letzten Sonnenstrahlen schienen durch den großen Bogen. Ich ging hindurch und stand ihm gegenüber. Ich hatte ihn weit unten in den Champs Elyssées zurückgelassen, und nun kam er mir mit einem Menschenstrom aus dem Bois de Boulogne entgegen. Er kam mir so nahe, daß er mich streifte. Seine schlanke Gestalt fühlte sich an wie Eisen unter ihrer lockeren, schwarzen Umhüllung. Er zeigte kein Zeichen der Eile oder der Ermüdung oder irgendeines anderen menschlichen Gefühls. Sein ganzes Wesen drückte nur eines aus: den Wunsch und die Macht, mir Böses zuzufügen.
Angsterfüllt sah ich ihm nach, als er die breite, belebte Straße hinunter ging, in der es wimmelte von Kutschen und Pferdegetrappel und den Helmen der Garde Republicaine.
Er war bald außer Sicht. Jetzt machte ich kehrt und floh. In den Bois und weit darüber hinaus – ich weiß nicht, wohin ich lief, aber lange Zeit danach, wie mir schien, war die Nacht hereingebrochen, und ich fand mich an einem Tisch vor einem kleinen Café. Ich war in den Bois zurückgekehrt. Es war jetzt Stunden her, daß ich ihn gesehen hatte. Physische Ermüdung und Sinnesqual hatten mir die Kraft geraubt zu denken oder zu fühlen. Ich war müde, so müde! Ich sehnte mich danach, mich in meiner Höhle zu verkriechen. Ich beschloß, nach Hause zu gehen, aber das war noch ein weiter Weg.
Ich wohne im Hof des Drachen, einem schmalen Gäßchen, das von der Rue de Rennes zur Rue du Dragon führt.
Es ist eine Sackgasse, in der nur Fußgänger verkehren können. Über dem Eingang an der Rue de Rennes wird ein Balkon von einem eisernen Drachen gestützt. Im Inneren des Hofes erheben sich zu beiden Seiten hohe alte Häuser und schließen die Enden nach den Straßen hin ab. Riesige Tore, die während des Tages in die Mauern der tiefen Bogengänge zurückgeschwungen werden, schließen den Hof nach Mitternacht ab, und man mußte dann an kleinen Seitenpforten klingeln, um hineinzugelangen. In dem eingesunkenen Pflaster sammeln sich faulige Pfützen. Steile Treppen führen hinunter zu Türen, die sich zum Hof hin öffnen. Die Stockwerke zu ebener Erde sind von Gebrauchtwarenhändlern und Metallwerkstätten besetzt. Den ganzen Tag über hallt der Hof vom Klingeln der Hämmer und vom Klirren der Metallstäbe wider.
So abstoßend es auch unten sein mag, darüber herrscht Heiterkeit und Behaglichkeit und harte, ehrliche Arbeit.
Fünf Stockwerke hoch liegen die Ateliers von Architekten und Malern und die Schlupfwinkel älterer Studenten wie ich selbst, die alleine leben möchten. Als ich hierher gekommen war, war ich jung und nicht allein.
Ich war schon ein gutes Stück gelaufen, bevor ein Fuhrwerk auftauchte, aber schließlich, als ich den Arc de Triomphe
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