Der Geliebte
wollten die eigentlich von dir erfahren?«, fragt Eric plötzlich.
»Es ging um mein Portemonnaie. Ich weiß nicht, warum sie darauf so herumgeritten sind, ich … ich verstehe es nicht.« Mir stockt der Atem. Mehr kann ich nicht sagen. Ich muss abwarten, was Eric mir erzählt.
»Der Typ, dieser Ermittler«, sagt Eric, »hat sich gut und gern dreißig Mal dafür entschuldigt, dass sie dich verhaftet und so lange festgehalten haben. Sie hatten dein Portemonnaie bei Peters Leiche gefunden, blutverschmiert. Neben der Jacke von Michel.«
Ich schlage die Hände vor den Mund. »Was?«
»Mit Michels Fingerabdrücken«, fährt Eric fort. »Und im Verhör hat dieser Halunke dann gestanden, dass er es dir gestohlen hat, am Nachmittag seines letzten Arbeitstags hier. Unglaublich! Monatelang geht er hier ein und aus, und dann fällt ihm plötzlich so was ein!«
Mir wird flau im Magen. Michel hatte mein Portemonnaie eingesteckt. Bestimmt war es mir aus der Tasche gefallen, als ich bei ihm auf dem Bett saß. Vielleicht hatte er Angst, ich würde es mitzunehmen vergessen und zu Hause in Erklärungsnot geraten …
Ich schließe die Augen und sehe Bruno in seinem Auto vor mir, kochend vor Wut. Michel, wie er mir einen letzten Blick zuwirft und dann die Straße überquert.
Er hat es eingesteckt und dann nicht mehr daran gedacht.
Ich spüre Messerstiche im Bauch, einen brennenden Schmerz, heftiger als ich je zuvor einen Schmerz verspürt habe.
Michel hat mich freigesprochen. Vollständig.
Er hat alle Schuld auf sich genommen.
Epilog
Eric und die Kinder schwimmen im See. Isabelle hat einen bunten Mickey-Mouse-Schwimmreifen, und Bastian klammert sich an den Rändern einer knallrosa Luftmatratze fest. Sie stoßen verzückte Schreie aus und lachen.
Eric tut so, als wäre er ein Hai. Mit großem Brimborium schwimmt er auf die beiden zu, schneidet furchterregende Grimassen, taucht unter und drückt Bastians Luftmatratze nach oben. Bastian kreischt vor Vergnügen.
»Kommst du auch rein?«, ruft Eric mir zu. »Das Wasser ist wundervoll!«
Ich schüttle den Kopf. »Ich hole noch was zu trinken.«
Ich drehe mich um und gehe den Hang hinauf.
Auf dem höchsten Punkt bleibe ich stehen. Blau, grau und violett erstrecken sich die Hügel vor mir wie die Wellen des Ozeans. Hoch über mir durchschneiden Flugzeuge den wolkenlosen Himmel. Schwalben segeln herab und ziehen wieder hoch, ich höre die Grillen zirpen.
Ich atme tief durch und lege die Arme um meinen Leib.
Es ist Sommer.
Vor einem Jahr haben wir dieses Haus gekauft.
Wir wussten, was wir wollten. Alle Brücken hinter uns abbrechen. In einem anderen Land ein neues Leben beginnen. Das hat uns zusammengeschweißt. Ein Pakt, wie er in Liedern besungen wird.
Aber was besungen, beschrieben oder verfilmt wird, ist immer viel, viel schöner als die Wirklichkeit. Es ist wie die Vergrößerung eines schönen, aber kleinen Ausschnitts. Insgesamt ist die Realität selten so zauberhaft, wie eine solche Geschichte glauben machen möchte. Wir verschließen die Augen vor dem Alltag und machen Fotos von den schönsten Orten, die wir besuchen, und den außergewöhnlichsten Augenblicken, die wir erleben und die so selten sind, dass die Kamera gewiss nicht fehl am Platze scheint. Wir zeigen diese Bilder Freunden und Bekannten, hängen sie an Wände und kleben sie in Alben. So schreiben wir unsere eigene eingefärbte, zensierte Geschichte.
Aber daneben gibt es immer noch eine andere, die schwer greifbar erscheint, im Verborgenen bleibt. Die sich nur emotional erfassen lässt.
Und manchmal ist es eine Geschichte, die niemals erzählt werden kann. So schön, einschneidend, überwältigend und intensiv sie auch gewesen sein mag.
Niemals.
Während ich zu Eric und den Kindern unten am See hinabschaue, wandern meine Hände wie von selbst zu meinem Bauch. Ein leichtes Rumoren, wie von hin- und hergedrückten Luftblasen. Ein Gefühl, das ich schon kenne.
Ich bin nicht mehr allein in diesem Körper.
Me gustan los aviones, me gustas tú
Me gusta viajar, me gustas tú
Me gusta la mañana, me gustas tú
Me gusta el viento, me gustas tú
Me gusta soñar, me gustas tú
Me gusta la mar, me gustas tú
Que voy a hacer, je ne sais pas
Que voy a hacer, je ne sais plus
Que voy a hacer, je suis perdu
Que horas son, mi corazón
Manu Chao, Me gustas tú
(Proxima Estacion Esperanza)
Merci
Es gibt ein paar Menschen, die mir während des Schreibens eine große Stütze
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