Der Geliebte
wieder.«
Eric nahm mich in den Arm. »Hörst du die Frösche?«, flüsterte er. »Schau mal, da hinten, der weiße Kirchturm. Ist das nicht wundervoll? Die paar Monate, die es jetzt länger dauert, was machen die schon aus, im Verhältnis zum Rest unseres Lebens? Dieses Fleckchen Erde hier ist wirklich klasse, Simone! Hab doch ein bisschen Geduld. Es wird schon alles gut, bestimmt.«
In den letzten Tagen hatte Eric seinen ganzen Ehrgeiz darauf verwandt, einen Bauunternehmer aufzutreiben oder irgendwie eine Truppe von Handwerkern zusammenzustellen. Denn unser Haus, unser Landgut, auf dem luxuriöse chambres d’hôtes entstehen sollten, war erst der Anfang. Die Instandsetzung dieses im Werden begriffenen Paradieses sollte eine Art Zuchtbecken für die Talente werden, die Eric in den nächsten Jahren an seine noch zu gründende Firma binden wollte. Eric wollte nicht die Natur, den Rotwein und das milde Klima genießen, sondern er wollte einen Ferienpark aufbauen. Das war sein Ziel in unserem Paradies. Die chambres d’hôtes würden in meine Zuständigkeit fallen, und im Mai war mir das noch vorgekommen, als ginge ein Traum in Erfüllung.
Erics Begeisterung und seinen Sprachkenntnissen zum Trotz waren wir bislang aber noch nicht sehr weit gekommen. Hunderte von Kilometern fuhren wir durch die Hügel zu abgelegenen Weilern mit unaussprechlichen Namen, zu denen sonst nie jemand kam, außer den Bewohnern und dem Briefträger - auf der Suche nach einem Neffen von Monsieur Deneuville, der noch bei seiner Mutter wohnte und Klärgruben anlegte. Von dort aus weiter zu einem Sohn des Bürgermeisters, der von einem ehemaligen Weinberg aus ein Bauunternehmen führte. Wälder, Felder, Äcker, Weiden mit triefnassen Limousin-Rindern, dann wieder Wald und gestapelte Baumstämme. Von einem Weiler zum nächsten. Ohne Erfolg.
»Was meinst du«, kicherte Eric mir ins Ohr, »sollen wir nicht mal etwas Dampf ablassen? Diesen wundervollen Wohnwagen gebührlich einweihen und hinterher was essen gehen?«
»Haben wir den nicht schon eingeweiht? Zigmal sogar.«
»Psst. Kann doch sein, dass es vorläufig das letzte Mal ist. Wenn die Kids erst hier sind, ist der Spaß vorbei.«
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Ein Wohnwagen. Die Kinder.
Schluss mit Privatsphäre.
Eric saß mir am Tisch im Dorfrestaurant gegenüber. Die Flasche Rosé zwischen uns war beinahe leer und das Essen immer noch nicht serviert.
Sein Handy lag neben den schmuddeligen Pages Jaunes vom letzten Jahr, die er sich von der Bedienung hatte geben lassen. Sechs Bauunternehmer und Handwerker rief er an. Ja, sie nähmen immer gern Aufträge an, aber nein, dieses Jahr würde es nicht mehr klappen, nicht ein Projekt dieses Umfangs. Frühestens nächstes Jahr im Juni wären wir dran.
»Fehler Nummer eins«, dachte ich laut vor mich hin. »Das hätten wir vorhersehen können, wir hätten uns schon darum kümmern sollen, als wir noch in den Nie-«
»Unsinn. Du weißt genauso gut wie ich, dass man so was vom Ausland aus nicht regeln kann. Das hätte überhaupt nichts gebracht. Wir hatten auch schlichtweg keine Zeit dafür.« Kurz hatte es den Anschein, als hätte der Panzer der Begeisterung, mit dem Eric sich umgab, ein paar Risse bekommen.
Ich selbst hatte mir mittlerweile eingestanden, dass wir den Schritt in unser neues Leben nicht gerade gründlich vorbereitet hatten. Dass wir keinen Auswanderungsplan hatten. Oder überhaupt irgendeinen Plan. Natürlich gab es dafür auch Gründe. Es gab für alles irgendwelche Gründe.
Vier Monate waren uns geblieben. Und vier Monate waren, wie sich herausstellte, schlichtweg zu kurz, um einen Haufen Angelegenheiten zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen und uns auf den vielleicht größten Schritt, den wir je unternommen hatten, gründlich vorzubereiten. Zu kurz nicht nur im praktischen, sondern auch im geistigen Sinne.
Vor unserem Aufbruch nach Frankreich hatte Eric alle Hände voll damit zu tun gehabt, seine laufenden Projekte zu beenden und seinen Nachfolger einzuarbeiten. Er war selten vor zehn Uhr abends nach Hause gekommen. Und ich war in den letzten Monaten fast nur noch mit Einpacken beschäftigt gewesen. Unglaublich, wie viel Kram ein Mensch im Laufe seines Lebens anhäuft, und vor allem, wie viel davon man tatsächlich täglich benötigt. Wie oft ich in der Waschküche gestanden und mich an der Mauer aus ordentlich übereinander gestapelten Kartons mit Geschirr und Winterklamotten zu schaffen
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