Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
aggressive Substanzen (freie Radikale) neutralisiert. Diese Substanzen gelangen hauptsächlich durch Abgase, Ozon, Smog und Zigarettenrauch in unseren Körper. Wo sie natürlich auch bleiben, wenn man nur rumsitzt, sich nicht bewegt und immerfort Nougatriegel in sich reinstopft. Das sind dann die Menschen, die beim Laufen tot umfallen, sagt Dr. Strunz kopfschüttelnd, und ich nicke dann betroffen und sage, jaja, so einen Fall hatten wir hier auch schon mal.
Übrigens casten wir unsere Kandidaten nicht mehr in Discos oder in Kneipen, wo sie dann besoffen in die Kamera lallen. Wir casten sie sämtlichst in Seminaren von Dr. Strunz. Meistens holen wir sie dort direkt von der Straße weg, wenn sie gerade vom Laufen kommen. Da sie nicht keuchen, können sie uns sofort ein kleines Demo-Interview geben, direkt in die Kamera. Die meisten wissen genau, wie sie heißen, wo sie wohnen und wie alt sie sind. Sie können ihren Beruf auswendig hersagen und haben fast immer auch eine Idee davon, was sie in ihrer Freizeit machen. Die meisten sagen übrigens spontan »Laufen«, und das macht das Sendekonzept wieder überschaubar. Sämtliche dieser Kandidaten sind übrigens nicht nur geistig rege, sondern sehen auch gut aus. Sie haben eine gesunde Gesichtsfarbe, einen durchtrainierten Körper und eine gut durchblutete Haut. Es ist eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. Sascha von der Maske hat jetzt nur noch halb solange wie früher zu tun. Die gewonnene Zeit, sagt er strahlend, verbringt er mit Laufen. Wir machen unsere Besprechungen nur noch trabenderweise. Der Feringasee eignet sich hervorragend dafür. Jeden Morgen traben wir zwei Stunden um den See.
Ach, fast hab ich vergessen zu erwähnen, dass unser neuer Moderator wieder den Ansprüchen unseres Publikums genügt. Erstens haben wir wieder einen Mann. Zweitens ist dieser Mann ganz jung. Er ist gerade mal einundzwanzig. Und drittens hat er auch wieder einen Akzent. Die Leute wollen das einfach so. Ich habe es inzwischen akzeptiert. Das mögen die Leute. Das kommt total gut an. Man richtet sich ja doch nach den Wünschen seines Publikums, wenn man die Verantwortung für so eine Sendung hat. Das Publikum ist da so schrecklich sensibel. Das lässt sich kein X für ein U vormachen.
Ach, nur den Frank und den Hubert, die brauche ich nicht mehr. Jedenfalls nicht für unseren Moderator. Ich finde, man sollte einen Moderator nicht verkleiden und nicht verbiegen. Er sieht eigentlich am besten aus, wenn er verwaschene Jeans, ein Sweatshirt und eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballkappe anhat. Die Leute lieben ihn so. Und ich persönlich mag seine kinnlangen Haare.
Wegen des ablaufenden Visums und des ganzen umständlichen Behördenkrams mit Arbeitsgenehmigung und Aufenthaltsgenehmigung bin ich den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und habe unseren neuen Moderator in aller Stille geheiratet. Die meisten wissen das nicht, denn ich wollte nicht schon wieder so einen Medienrummel und das Getratsche um »Junger Mann heiratet alte Frau« und »Sie schenkt ihm einen Job, er schenkt ihr den Trauschein«. Da wird doch immer viel dummes Zeug geschrieben, und das wollte ich vermeiden. Die Leute verstehen auch nicht, was ein junger Kerl an einer älteren Frau findet. Da sind sie nicht sehr tolerant. Bei älteren Männern, die junge Frauen heiraten, ist das was anderes. Man gucke sich nur die Politiker an. Aber das ist alles nicht mein Problem. Ich habe gelernt, mich nicht mehr nach den Meinungsumfragen der Forsa-Institute zu richten. Wir haben auch in der Fußgängerzone noch keine Beurteilung unseres Moderators durchführen lassen. Ich finde das irgendwie menschenunwürdig, aber das ist Geschmackssache.
Unser gesamtes Team ist dabeigeblieben. Wir verstehen uns blendend und haben Spaß an unserer Arbeit. Als einzigen neuen Mitarbeiter habe ich Herrn Much eingestellt, den knarzigen alten Fahrer aus Wien. Er fährt jetzt unseren neuen Moderator. Ich habe ihn einfach ins Herz geschlossen, und er hat so einen köstlichen Humor. Neuerdings arbeitet er auch noch als Gagschreiber für unseren neuen Moderator. Die zwei Ausländer passen gut zusammen.
Wir sind alle sehr kreativ und haben Freude an unserer Arbeit, und in letzter Zeit sind Stimmen laut geworden, die vorschlugen, dass wir auch mal ein paar Randgruppen der Gesellschaft in unsere Sendung einladen sollten. »Muttis« zum Beispiel, das sind Frauen, die Kinder haben, oder »Grufties«, das sind Leute über vierzig. Sascha und Frank
Weitere Kostenlose Bücher