Der Genesis-Plan SIGMA Force
sind. Schon in präkambrischer Zeit gab es zahlreiche Schwämme und wurmartige Vielzeller. Die Vielfalt der in dieser Zeit entstandenen Arten lässt sich mit dem Auftreten der Hoxgene im genetischen Code erklären.«
»Hoxgene?«
»Das sind vier bis sechs Gene, die kurz vor Beginn des Kambriums im genetischen Code aufgetaucht sind. Es hat sich gezeigt, dass sie für die Entwicklung des Embryos zuständige Schalter steuern. Sie definieren oben und unten, rechts und links, die elementare Körperform. Fruchtfliegen, Frösche und Menschen besitzen alle exakt die gleichen Hoxgene. Schneidet man ein Hoxgen aus dem Genom einer Fliege aus und setzt es in die DNA eines Frosches ein, erfüllt es seine Aufgabe wie zuvor. Diese Gene sind die fundamentalen Regelschalter bei der Entwicklung des Embryos, und schon kleinste Veränderungen im Gen haben große Auswirkungen auf die Körperform.«
Lisa hatte zwar keine Ahnung, worauf Anna hinauswollte, doch ihr Fachwissen überraschte sie. Die Deutsche war nicht weniger beschlagen als sie selbst. Wären sie sich bei einer wissenschaftlichen Konferenz begegnet, hätte Lisa Spaß an der Debatte gehabt. Tatsächlich musste sie sich gewaltsam in Erinnerung rufen, wen sie da vor sich hatte.
»Dann könnte das Auftauchen der Hoxgene zu Beginn des Kambriums also die dramatisch zunehmende Formenvielfalt erklären«, erwiderte Anna. »Aber die Hoxgene sind keine Erklärung für andere Phasen schneller – und nahezu zielgerichteter – Evolution.«
»Zum Beispiel?« Die Unterhaltung wurde immer interessanter.
»Zum Beispiel der Birkenspanner. Kennen Sie die Geschichte?«
Lisa nickte. Das war eines der Hauptargumente des gegnerischen Lagers. Birkenspanner waren weiß gesprenkelt, um sich auf der Birkenrinde zu tarnen. Als jedoch während der Industrialisierung in Manchester die Bäume verrußten, waren die weißen Schmetterlinge auf einmal deutlich zu erkennen und wurden leichte Beute der Vögel. Innerhalb weniger Generationen nahm der überwiegende Teil der Population jedoch eine tiefschwarze Farbe an, womit die Tarnung wiederhergestellt war.
»Wenn Mutationen tatsächlich zufällig auftreten«, argumentierte Anna, »ist es schon ein erstaunlicher Zufall, dass damals ausgerechnet die schwarze Farbe ausgebildet wurde. Wenn das ein rein zufälliges Ereignis war, hätte es doch auch rote, grüne oder purpurfarbene Schmetterlinge geben müssen, nicht wahr? Oder vielleicht sogar zweiköpfige?«
Lisa hätte vor Entrüstung beinahe die Augen verdreht. »Ich könnte jetzt erwidern, dass die andersfarbigen Motten gefressen wurden und dass die zweiköpfigen Exemplare gestorben sind. Aber Ihr Argument ist nicht stichhaltig. Die Farbveränderung der Schmetterlinge wurde nicht durch eine Mutation hervorgerufen. Diese Art besaß bereits ein Gen für Schwarz. In jeder Generation wurden ein paar schwarze Exemplare geboren, doch die meisten wurden gefressen, sodass die Population weiß blieb. Als die Bäume jedoch verrußten, hatten die schwarzen Schmetterlinge einen Überlebensvorteil und füllten die Lücken aus, welche die weißen hinterließen. Eben darum geht es bei diesem Beispiel. Die Umwelt vermag eine Population zu beeinflussen. Mit Mutation hatte das gar nichts zu tun. Das Gen für Schwarz war bereits vorhanden.«
Anna lächelte.
Lisa begriff, dass die Deutsche lediglich ihr Wissen hatte auf die Probe stellen wollen. Sie straffte sich ein wenig. Einerseits war sie verärgert, andererseits reizte sie das Ganze nur noch mehr.
»Sehr schön«, sagte Anna. »Dann möchte ich auf ein weniger weit zurückliegendes Ereignis zu sprechen kommen. Auf ein Ereignis, das unter kontrollierten Laborbedingungen stattgefunden hat. Ein Forscher hat einen Stamm Kolibakterien gezüchtet, der keine Laktose verdauen konnte. Damit impfte er eine Petrischale und bot Laktose als einziges Nahrungsmittel an. Was meinen Sie, was passierte?«
Lisa zuckte die Schultern. »Da die Bakterien Laktose nicht verdauen konnten, müssen sie wohl verhungert sein.«
»So erging es achtundneunzig Prozent der Bakterien. Die verbliebenen zwei Prozent aber lebten munter weiter. Sie hatten spontan ein mutiertes Gen herausgebildet, das sie in die Lage versetzte, Laktose zu verdauen. Und zwar im Verlauf einer einzigen Generation. Ich finde das erstaunlich. Sie nicht? Das widerspricht dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Warum haben zwei Prozent der Population trotz der vielen Gene des Escherichia-coli-Bakteriums und des seltenen
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