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Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0

Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0

Titel: Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Barth
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grausame Krankheit, weniger für mich als vielmehr für die Menschen, die mit mir zusammenleben. Es ist eine Krankheit, die hauptsächlich Männer befällt. Wenn man so will, ist es unsere Version der Monatsblutung, nur wesentlich häufiger und viel unangenehmer. HT -Patienten sind Menschen, die ab dem Eintreten eines leichten Hungergefühls jede Art von Außengeräusch nur noch als extrem störendes Ohrenpfeifen wahrnehmen, das sie von der Nahrungsaufnahme abhält. Ausgenommen sind Sätze wie: «Huch, ich hab ja noch ein Sandwich in der Tasche! Mag das jemand?» Sobald der Tinnitus eintritt, verschlechtert sich die Stimmung der Patienten rapide. Sie sind zu keinerlei Konversation mehr fähig, und wenn sie doch dazu gezwungen werden, ist selten mehr als ein dumpfes «Grrruuuaaarhhh!» aus ihnen rauszuholen.
    Ein Beispiel: Als ich kürzlich mal ohne Frühstück aus dem Haus gegangen bin, um den Hund auszuführen, hat mich mein Freund angerufen und gefragt: «Was hältst du davon, wenn ich dich am Aachener Weiher abhole und wir zu IKEA fahren?»
    «Ich hab noch nicht gefrühstückt», antwortete ich, was meiner Ansicht nach eine mehr als eindeutige Antwort war. Aber Stefan hörte die Signale nicht: «Ach, wir gehen ja nur kurz.»
    Wir waren noch nicht ganz im Möbelhaus, da hingen meine Mundwinkel schon tiefer durch als ein IKEA -Bett nach dreimal Draufhüpfen, ich beantwortete die Frage einer Angestellten, ob ich eine IKEA -Family-Card haben wollte, mit einem langgezogenen «Grrrruuuuaaaaaaahhhhhh!», sprang dann ins Bällchenparadies und suchte den Boden nach ausgespuckten Bonbons ab. Irgendwann schleppte Stefan mich zum Hotdog-Stand vor der Kasse, bereitete mir aus Röstzwiebeln und Remouladensauce eine Art Crunchy-Müsli und wartete, bis eine Besserung meines Gesichts-Gewitters einsetzte.
     
    Wenn auch Sie einen Hunger-Tinnitus-Patienten zu Hause haben und solche Zwischenfälle vermeiden wollen, sollten Sie drei einfache Verhaltensregeln beachten:
    Spannen Sie den Patienten nicht unnötig auf die Folter. Wenn er zum ersten Mal den Satz «Ich habe Hunger» sagt, haben Sie noch ungefähr fünf Minuten, bevor er einem Kind eine Brezel aus der Hand schlägt, eine Bratwurstbude überfällt oder einen Dalmatiner reißt. Lassen Sie es nicht so weit kommen. Helfen Sie dem Patienten bei seiner Suche nach Lebensmitteln. Und – um mal mit einem weitverbreiteten Gerücht aufzuräumen: Obst ist kein Lebensmittel! Zumindest keines, das man mit dem Ziel der Sättigung zu sich nimmt. Jemandem, der an Hunger-Tinnitus leidet, zu raten: «Iss doch mal ’nen Apfel!», ist, wie einem Heroinabhängigen zu sagen: «Lutsch doch mal ’nen Traubenzucker!» Der einzige Sinn von Obst ist, in Körben und auf Tellern zu liegen, schön auszusehen und nach und nach immer mehr Fruchtfliegen als Nistplatz zu dienen. Flüssige Lebensmittel verdienen diesen Namen übrigens auch nicht. Joghurt wurde zum Beispiel, wie wir alle spätestens seit der «Activia»-Werbung wissen, nur dazu erfunden, um aufgeblähte Frauen vor der Explosion zu bewahren. Lebensmittel, das sagt ja schon der Name, sind nur Dinge, die mal gelebt haben. Alles andere ist Deko.
Wenn Sie Lebensmittel bei sich haben, geben Sie sie lieber ohne Umschweife dem HT -Patienten. Ein Zoopfleger geht auch nicht mit einem Rindersteak in der Hand in einen Tigerkäfig und sagt: «Ich hab hier was für euch. Aber erzählt doch erst mal – wie war euer Tag?»
Helfen Sie Hunger-Tinnitus-Patienten bei ihrem schwierigen Weg durchs Leben. Vergessen Sie Meisenknödel – die Meisen legen für uns schließlich auch keine Lebensmittel aus. Suchen Sie stattdessen in Ihrer Stadt nach Gegenden mit einer geringen Dichte an Imbissbuden, Kiosken und Metzgereien. Hängen Sie dort kleine Trockenwürstchen an Bäume und Laternen. Wer weiß, vielleicht retten Sie damit sogar einem Dalmatiner das Leben.

[zur Inhaltsübersicht]
NICHT OHNE MEINE HARTWURST
    Was ist schlimmer als die Angst zu verhungern? Richtig, die Angst, im Ausland zu verhungern. Kürzlich war ich mit der Familie meines Freundes am Gardasee; Stefan hatte angekündigt, vor der Fahrt ein paar Lebensmittel einkaufen zu wollen. Nur für den Fall, dass die Supermärkte schon geschlossen wären. Kaum hatte er seine Einkäufe in den Kühlschrank unserer Ferienwohnung geräumt, kamen meine Schwiegermutter und beide Schwägerinnen angeschlichen, alle drei ebenfalls mit Kühltasche bewaffnet und alle drei mit dem gleichen entschuldigenden Lächeln: «Wir

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