Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0
dachten nur, falls du was vergessen hast!» Und tatsächlich: Wir hatten sowohl «Exquisa Frischkäse in Scheiben» als auch den «Senf-Honig-Feigen-Aufstrich», die «Rewe Feine Sahne-Leberwurst» und den «Mondamin Pfannkuchen Teig-Mix» vergessen.
Wir waren während des gesamten Urlaubs nicht einkaufen.
Ich selbst bin von der Angst vor dem Auslands-Hungertod kuriert. Aber erst seit einem denkwürdigen Urlaub in Montpellier. Es waren die Osterferien vor meinen Abiturprüfungen. Mein Kumpel Mike und ich hatten beschlossen, gemeinsam mit dem Rucksack nach Frankreich zu fahren. Wir packten also unsere Sachen, und als wir schon fast fertig waren, hatte ich die unfassbar bescheuerte Idee: «Wir sollten auf jeden Fall noch ordentlich was zu essen mitnehmen!»
Mike schaute mich verwundert an: «Warum?»
Ich zuckte die Schulter: «Weil wir sonst verhungern!»
«Ja, aber dann können wir doch was kaufen und kochen!»
Und genau davor hatte ich Angst. Erstens konnte ich nach sieben Jahren Schulfranzösisch zwar stundenlang über die Schwierigkeiten maghrebinischer Einwanderer in Marseille reden, aber nicht mal hundert Gramm Schinken in der Metzgerei bestellen. Und zweitens hatte ich Angst vor Mikes Kochkünsten. Ich wusste, dass er auf einem Zeltlager am Bodensee einmal ein Mädchen hatte beeindrucken wollen, indem er sie zum Grillen einlud. Er kaufte ein Tiefkühlhähnchen, spießte es auf einen Holzstock und hielt es über das Lagerfeuer. Irgendwann war das arme Huhn außen kohlschwarz und innen noch gefroren. Seitdem liegt es auf dem Grund des Bodensees. Das Mädchen ist an dem Abend übrigens auch nicht so richtig aufgetaut.
Ich entgegnete also: «Nee, Kochen ist viel zu umständlich. Lass uns lieber hier was Fertiges kaufen.»
«Aber wir haben doch keinen Kühlschrank!», entgegnete Mike.
«Dann müssen wir eben was kaufen, das sich auch ohne Kühlung hält», sagte ich. «Zum Beispiel ’ne Hartwurst!»
Hartwurst oder besser: «Haddwurschd» ist das fränkische Wort für Salami und stammt aus einer Zeit, als man italienische Feinkost in Franken noch für «neumodisches Zeuch» hielt. Also bis vor etwa zwei, drei Jahren. Es gab zwei Sorten Hartwurst: Normale Hartwurst kam vom Metzger, war etwa so dick wie eine Gurke und hatte eine durchsichtige Papierhaut. Und dann gab es da noch «die gude Haddwurschd vom Aldi». Die war etwas dünner als die Metzgers-Salami und tarnte sich mit ihrer weißen Plastikhaut als italienische Edelwurst.
Außerdem prangte auf der Verpackung die Zeichnung eines italienischen Bauernhauses. Davor stand eine dicke Matrone, die einem fröhlichen Genießer einen Scheibe ihrer selbstgemachten Salami abschnitt, während an der Regenrinne ihres Hauses mehrere Hartwürste zum Trocknen in der Sonne hingen. Ich dachte mir: Wenn eine Hartwurst die italienische Sommerhitze erträgt, dann erträgt sie bestimmt auch die französische April-Sonne.
Die Hartwurst hatte außerdem den Vorteil, dass man sie wie ein Schwert seitlich in einen stramm gepackten 50-Liter-Trekking-Rucksack schieben und auch wieder daraus hervorziehen konnte – das perfekte Reise-Fastfood.
Die beiden Lehramtsanwärterinnen, die wir über die Mitfahrzentrale gefunden hatten und die uns nach Montpellier mitnehmen wollten, waren auch tatsächlich sehr beeindruckt, als wir auf der ersten Autobahnraststätte unsere Hartwürste aus dem Rucksack zogen. «Das ist ja clever», sagte die eine. «Da spart man sich die teuren Raststätten-Brötchen!» Ich nickte nur und lächelte Mike zu.
«Aber hält die sich denn auch?», fragte die andere.
«Ewig!», erwiderte ich und biss kraftvoll hinein.
Dann kamen wir in Montpellier an. Unsere Jugendherberge lag genau gegenüber von einem französischen Bauernmarkt. Und als wir am ersten Morgen über diesen Markt schlenderten, vorbei an französischen Landpasteten, Käse, Meeresfrüchten, duftendem Brot und vollreifen Früchten, dauerte es keine zwei Minuten, bis Mike mich fragte:
«Sollen wir uns nicht mal was zum Essen kaufen?»
Ich zuckte die Schulter: «Aber wir haben doch noch die Hartwurst!»
Mike nickte stumm.
Wir hatten die ganze Woche «noch die Hartwurst». Jeden Abend setzten wir uns an den Rand des Bauernmarktes, zogen die fleischigen Knüppel aus dem Rucksack und bissen hinein.
Leider erwies sich auch die Sache mit der unbegrenzten Haltbarkeit als Fehleinschätzung. Schon am zweiten Tag im Süden schmolz das in der Wurst verarbeitete Fett und bildete oben auf dem
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