Der Gentleman
fortgeschrittenen Zeit. Niemand hatte es hier eilig. Aromatischer Duft, den eine versteckt stehende Kaffeemaschine ausströmte, wehte ihm entgegen. Jene Nerven, die dafür verantwortlich sind, daß einem Menschen das Wasser im Mund zusammenläuft, traten bei Robert in Aktion.
Vom zweiten Gast, der sich hinter einer großen, aufgeschlagenen Zeitung verschanzt hatte, konnte Robert nur so viel erkennen, daß er kein Mann war. Ein weibliches Wesen also. Die Schuhe verrieten das. Noch verräterischer wären diesbezüglich natürlich die Beine gewesen, aber da diese in Hosen steckten, blieb es einem Paar flacher, blauer Pumps überlassen, den nötigen Aufschluß zu geben.
Von Frauen, die ihre Köpfe allzu tief in große, aufgeschlagene Zeitungen stecken, hielt Robert Sorant nicht viel. Der Grund war ganz einfach der, daß ihm solche Frauen als zu ›männlich‹ erschienen.
Der Kellner nahm die Bestellung entgegen. Es war derjenige, welcher gestern mit dem Büfettfräulein geschäkert hatte. Martin Eisner war nicht zu sehen. Wahrscheinlich begann sein Dienst erst später.
»Kann ich auch eine Zeitung haben?« fragte Sorant den Ober.
»Sobald sie frei wird«, murmelte dieser, wobei er einen anklagenden Blick hinüber zu der Besitzerin der flachen, blauen Pumps sandte.
Ein Grund mehr also, warum Robert Sorant eine gewisse Aversion gegen zeitungslesende Frauen haben zu können glaubte.
»Ist kein zweites Exemplar vorhanden?« fragte er den Kellner.
Doch, dachte der, aber das befindet sich in der Küche in Händen der Köchin, die noch nicht fertig ist damit.
»Normalerweise ja«, antwortete er, »aber ich weiß nicht, wo es sich befindet. Wollte selbst schon nach dem Wetterbericht sehen. Tut mir leid. Sollte es auftauchen, bringe ich es Ihnen sofort.«
»Danke«, nickte Robert.
Der Kellner entfernte sich, um das Frühstück herbeizuschaffen. Robert Sorant steckte sich eine Zigarette an, um rasch noch auf nüchternen Magen ein paar besonders schädliche Züge zu nehmen. Und dann fiel sein Blick auf den Stuhl neben der Dame mit den blauen Pumps. Was lag dort? Ein Fotoapparat.
Robert zuckte zusammen. Aha, dachte er die ist das also.
Vielleicht enthielt der Apparat sogar noch den Film mit Roberts Konterfei, das für dunkle Zwecke bestimmt zu sein schien. Und schon war dabei wieder an Herrenunterhosen zu denken.
In Roberts Innerem fing es an zu arbeiten. Die hat mich doch längst bemerkt, dachte er, und tut so, als wäre ich Luft. Ist sie mir keine Erklärung schuldig? Natürlich ist sie das!
Warum läuft sie heute in Hosen herum, fragte er sich verärgert. Einer Frau mit solchen Beinen sollte man das verbieten. Überhaupt sollte man dieser ganzen Hosenmode endlich einen Riegel vorschieben. Einen Vorteil hat sie allerdings: In keinem anderen Kleidungsstück kommt der feminine Hintern so gut zur Geltung, vorausgesetzt, es handelt sich um ein sehenswertes Exemplar. Diesbezüglich scheint aber dem Weib dort drüben nichts Negatives anzukreiden zu sein.
Robert räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen. Keine Reaktion. Er hustete. Dasselbe. Dann räusperte er sich und hustete in einem. Wieder nichts.
Das tut sie absichtlich, erboste er sich innerlich. Und darin irrte er sich nicht. Wie komme ich ihr bei?
Da saß er nun, der kluge, mit allen Wassern gewaschene und sämtlichen Ölen gesalbte Schriftsteller Robert Sorant und fand auf diese Frage keine Antwort.
Der Kellner brachte das Frühstück. Ohne den richtigen Appetit, der inzwischen beträchtliche Einbußen erlitten hatte, kaute Robert an seinem Brötchen, schluckte den Kaffee, schaute immer wieder hinüber zum anderen Tisch und brannte mit den Augen Löcher in die Zeitung, die wie ein Segel in der Luft stand. Plötzlich aber sank sie herunter, wurde auf den Tisch gelegt, die Dame zahlte, griff nach ihrem Fotoapparat, erhob sich und strebte zum Ausgang. Dabei gelang es ihr, so zu tun, als ob sie Robert jetzt erst entdecke. Mit einem unpersönlichen, flüchtigen Lächeln nickte sie ihm einen kühlen Gruß zu. War das nun echt oder nicht? Hatte sie ihn wirklich nicht früher gesehen oder tat sie nur so? Wenn letzteres zutraf, war sie als Mimin große Klasse. Dann verdiene sie ein Engagement am Wiener Burgtheater, meinte Robert verblüfft im stillen, dann könne sie ihre Arbeit als Grafikerin vergessen – und die als Fotografin.
Robert Sorant winkte dem Kellner.
»Ich brauche zwei Postkarten oder etwas Ähnliches«, sagte er zu ihm. »Wo kriege ich
Weitere Kostenlose Bücher