Der Gerechte
Stirn hämmerte es. Kleine Hämmer waren dort in Bewegung, die klopften und klopften.
Die Angst wuchs ins Unermeßliche.
»Wer bist du?« Goldblatt hatte mit rauher Stimme gesprochen. In seiner Kehle steckte Sandpapier. Er mußte sich räuspern, um eine erneute Frage stellen zu können, doch das schaffte er nicht mehr, denn er hatte etwas gesehen.
Der ›Geist‹ bewegte sich.
Er kam vor.
Lautlos, es war nichts zu hören. Goldblatt fühlte aber, wie er sich bewegte und sich dabei auf ein Ziel einpendelte, das nur er in seinem Bett sein konnte, denn seinen Zellengenossen Nessé ließ er außen vor. Der sah und hörte nichts.
Er hatte auch nichts damit zu tun, dieser Besuch galt allein ihm, und die Angst nahm überhand. Goldblatt drückte sich zurück. Intervallweise rückte er nach hinten, bis er die Zellenwand in seinem Rücken spürte, doch auch sie gab ihm keine Sicherheit.
Die Angst war wie ein Schlund ohne Boden, der ihn stückweise schluckte.
Das Ziel war sein Bett.
Bisher hatte Jeff nichts gehört, jetzt schleifte etwas über den Boden, und aus dem tiefen Dunkel über dem Zellenboden kristallisierte sich etwas hervor.
Eine Gestalt, ein Gespenst?
Sie war bleich und dennoch menschlich. Eine kalte Strömung wehte von ihr aus, erreichte Goldblatt und ließ ihn erzittern. Es war eine Kälte, wie er sie noch nie erlebt hatte. Trotz seiner Angst suchte er nach einem Vergleich, der ihm auch in den Sinn kam.
Kälte aus dem Jenseits…
Ja, das war es. So konnte nur der Tod reagieren, wenn er sein Reich verlassen hatte. Der Tod brachte die Kälte, die alles einfror und jegliche menschliche Regung erstickte.
Er war furchtbar. Er würde mit seinen knöchernen Klauenhänden nach ihm greifen und ihn hineinziehen in das Reich, aus dem es keine Wiederkehr mehr gab.
Dennoch schaffte es Jeff, eine Frage zu stellen, die wie ein Hauch über seine Lippen wehte. »Wer bist du…?« Er hatte keine Antwort erwartet und wunderte sich deshalb, daß er sie bekam.
»Ich bin der Gerechte!«
Es war ein Satz, den Jeff zwar verstand, aber nicht begreifen konnte. Der Gerechte! Was bedeutete das? Wie konnte diese Schattengestalt so etwas behaupten? Verdammt noch mal, wie war es möglich, daß sie überhaupt sprach, wenn sie ein Geist war? Und sie mußte ein Geist sein, denn sie war durch die geschlossene Tür gekommen oder hatte sich durch die Wand gedrückt, aber niemals das Fenster benutzt, was auch nicht möglich war, weil es ebenfalls verschlossen war. Goldblatt zitterte, je länger er über die Antwort nachdachte. Es waren nur Sekunden, sie aber kamen ihm vor wie Minuten, die Furcht hatte jegliches Gefühl für Zeit unterdrückt. Dennoch gab es Lücken in dem grauen Schwamm, der sein Gehirn überdeckte. Er konnte nachdenken, auch folgern und kam zu dem Entschluß, daß die Erscheinung etwas mit seiner Tat zu tun hatte.
Da war vielleicht einer der Toten zurückgekehrt. Oder jemand hatte ihn beschworen, damit er als Geist erschien. Das alles war plötzlich möglich und lag nicht mehr im Bereich der Spekulation. Er hatte nie an übersinnliche Dinge geglaubt, hatte all das für Phantasmen irgendwelcher Filmemacher und Autoren gehalten. An die Wirklichkeit kam so etwas doch nicht heran.
Da gab es keine Geister!
Wer aber war trotz verschlossener Tür in seine Zelle gelangt und hielt sich dicht vor seinem Bett auf?
Er mußte so stehen, daß sich sein Kopf auch mit dem Gesicht des halb Liegenden in gleicher Höhe befand.
Die Kälte blieb.
Sie wehte ihm entgegen, sie traf sein Gesicht. Sie erinnerte ihn an kleine Körper, die sich auch nicht von der Haut aufhalten ließen und durch sie hindurchdrangen, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden, damit sie sich in seinem Blut festsetzen und es übernehmen konnten. So schwemmten dann die eisigen Körper durch seine Adern und hinterließen auf seinem Rücken eine Gänsehaut.
Er wartete ab.
Er konnte sich nicht wehren, doch er wußte, daß der Horror noch nicht sein Ende erreicht hatte.
»Du willst dich rächen?«
»Ja.«
»Für wen? Wer hat dich geschickt?«
Wieder traf ihn die Antwort wie ein Eishauch aus der unbeschreiblichen Kälte des Jenseits. »Ich bin der Gerechte. Ich werde diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die Unrecht begangen haben. Die töteten, die keine Rücksicht nahmen. Mit dir mache ich den Anfang. Du hast Menschen getötet, du bist in die Ahnungslosen hineingerast, du hast keine Rücksicht genommen, und du bereust nicht einmal deine schreckliche
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