Der Gerechte
Tat.«
Jedes Wort traf ihn wie ein Schlag. Er schien der Klotz zu sein, auf den der Hammer wuchtete. Und ob er wollte oder nicht, er duckte sich tatsächlich unter dieser fürchterlichen Anklage zusammen, während er trotzdem überlegte, wie es weitergehen sollte.
Wie kam er hier raus?
Aus der Zelle überhaupt nicht.
Es blieb also nur eine Möglichkeit.
Er mußte seinen Besucher besiegen, ihn überwinden, doch wie sollte er das schaffen, einen Feind zu besiegen, der seiner Ansicht nach kein Mensch war, sondern ein Wesen aus einer anderen Welt? Er rang nach Luft, und es kam ihm vor, als hätte er überhaupt nicht eingeatmet, so eng war seine Kehle geworden.
Angst flutete noch stärker in ihm hoch…
Grauen packte ihn…
Er spürte den Eishauch des nahen Endes über seinen Nacken streifen. In seinem Hinterkopf klang es dumpf, als säße dort jemand, der bereits die Todestrommel schlug.
»Du… du willst mich töten?«
»Ja!«
Ein Wort nur, mehr nicht. Aber dieses Wort sagte alles. In ihm lag eine derartige Sicherheit, daß Jeff Goldblatt nicht einmal schreien oder anderweitig Hilfe herbeiholen konnte. Er hockte mit weit geöffneten Augen und offenstehendem Mund auf seinem Bett und spürte wieder einen Eishauch.
Sie entpuppte sich als böses Tier oder als mörderischer Dämon aus dem Reich der Finsternis.
Und sie glänzte…
Etwas war vor ihm entstanden, das ihn zunächst an Glas erinnerte. Als würde eine Scherbe auf ihn zukommen, die ein seltsames Licht in sich barg.
Goldblatt senkte den Kopf.
Das war keine Scherbe, das war ein Messer aus Licht oder aus Stahl, über das Licht hinweggestrichen war.
Er streckte ihm den Arm entgegen.
Er saß plötzlich still. Er spürte, wie die Klinge über seinen Handballen glitt und das Fleisch aufschnitt. Nicht einmal den Schmerz bekam er mit, bis er den Arm zurückzucken ließ. Genau diese Bewegung war es, die das Gefühl in ihm aufkommen ließ.
So etwas hatte er noch nie erlebt. Er glaubte, seine Hand nicht mehr zu spüren, er…
Schreien, du mußt schreien, dann hast du noch eine Chance, zuckte es durch sein Hirn.
Er legte den Kopf zurück.
Sein Mund stand offen.
Saugend holte er Luft.
Da sah er direkt über sich das Glänzen, und er wußte mit brutaler Deutlichkeit, was es war.
Gleichzeitig hörte er auch die Stimme. »Der Gerechte ist gekommen. Die Engel werden dafür sorgen, daß die Menschen ihre Strafe bekommen. Sie haben die Engel gereizt. Das war ein Fehler…«
Mehr hörte er nicht.
Die Klinge fuhr nach unten.
Sie traf ihn tödlich!
Und der Gerechte verschwand ebenso lautlos, wie er gekommen war. Er löste sich einfach auf, als er die Zellentür erreichte…
***
Es schneite!
Die weiße Pracht rieselte aus tiefhängenden, grauen Wolken, die sich über London zusammengefunden hatten, und jede einzelne Flocke kam mir vor wie ein Glotzauge, das beim Auftupfen gegen die Autoscheiben erst in das Innere schauen wollte, bevor es dann an der wannen Scheibe blitzschnell zerschmolz.
Wer an einem derartigen Tag in London vorankommen wollte, der mußte vor allen Dingen eines aufbringen: Geduld, Geduld und nochmals Geduld!
Die brauchten auch Suko und ich auf unserer Fahrt. Aber wir hatten den Wagen nehmen müssen, weil unser Ziel nur schwerlich mit einer U-Bahn zu erreichen war.
Es gibt Tage, da sehnen selbst wir uns danach, im Büro zu sitzen und einfach nur Däumchen zu drehen oder alte Akten durchzustöbern. So ein Tag war dieser Tag.
Leider saßen wir nicht im Büro, sondern befanden uns auf dem Weg zu einem Tatort.
Und der lag in einem Gefängnis. In einer Zelle. Dort war jemand umgebracht worden, ohne daß es dafür eine Erklärung gab, denn die Zelle war von außen her nicht betreten worden.
Das sagte sich leichter, als es war. Jeder Wärter hätte hineinkommen können, aber es gab da die Aussage eines Zeugen, der steif und fest behauptete, daß es ein Geist gewesen war, der dieser Zelle einen Besuch abgestattet hatte.
Auch deswegen wären wir nicht hingefahren, denn Knastbrüder ließen sich oft wahre Märchen einfallen. Es ging vielmehr um den Toten, dessen Wunde mehr als ungewöhnlich war, und da wiederum verließen wir uns auf die Worte des untersuchenden Arztes, der zudem noch einen Spezialisten zu Rate gezogen hatte.
Die Leiche war noch nicht abtransportiert worden. Sie wurde nach wie vor im Gefängnis aufgebahrt.
Wir erreichten den Bau, einen düsteren altmodischen Knast, der von einer hohen grauen Mauer umgeben war. Auf der Krone
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