Der Gesang der Maori
Ewan.«
»Ja, und?« Seine Stimme klang beherrscht. So, als ob er sich Mühe
gäbe, all seine Emotionen zu kontrollieren.
Katharina redete einfach weiter. Jetzt hatte sie ohnehin nichts mehr
zu verlieren. »Brandon und Sina haben eine niedliche Tochter. Ava. Sie ist noch
keine zwei Jahre alt â und es geht ihr sehr schlecht. Sie hat Krebs.
Irgendetwas mit dem Knochenmark, sie hat nur eine Chance, wenn ein passender
Spender gefunden wird. Keiner der Verwandten passt â unsere letzte Hoffnung ist
John Cavanagh.« Sie schwieg einen Augenblick. »Sonst muss die kleine Ava
sterben.« Das klang dramatisch, kam aber der Wahrheit sehr nahe.
Wieder Schweigen im Hörer. Dann ein leises Räuspern. »Ich komme. In
zwei oder drei Stunden bin ich in Kaikoura.« Es klickte, und die Leitung war
unterbrochen.
Matiu sah sie gespannt an. »Und? Was sagt er?«
»Nicht viel. Er kommt hierher, sagt, dass er zwei oder drei Stunden
brauchen wird.« Sie wandte sich an Matius Mutter. »Wie kann es sein, dass er so
völlig aus dem Blickwinkel seiner Familie verschwunden ist, obwohl er in der
gleichen Stadt lebt?«
Die zierliche Frau lachte leise auf. »Er wollte nicht gefunden
werden. Deswegen ist der Besitzer von Fionaâs Foodmarket nie in der Presse zu
sehen, taucht bei keiner gesellschaftlichen Veranstaltung auf. Ich denke, er
gilt als sehr merkwürdiger Kauz in Christchurch. Aber er hat es geschafft:
Inzwischen ist der Supermarkt eine Selbstverständlichkeit, aber für den
Besitzer interessiert sich niemand so recht ⦠Und hier kümmert sich kaum jemand
um ihn. Er ist der reiche WeiÃe, der mir die vielen Kinder angehängt hat, das
ist alles, was die anderen wissen. Reicht ja auch. Musste ja keiner wissen,
dass ich ihn nicht heiraten wollte â¦Â« Sie lachte ein lautes, kehliges Lachen,
das deutlich machte, dass sie sich herzlich wenig um die Meinung von anderen
hier in Kaikoura kümmerte.
»Sie wollten ihn nicht heiraten?« Jetzt war Katharinas Neugier
geweckt.
Auch Matiu sah seine Mutter überrascht an. »Das hast du mir nie
erzählt!«
Paikea nickte. »Kommt, ich erzähle euch die Geschichte. Setzt euch
auf die Veranda, ich hole uns einen Eistee.«
Gehorsam wie kleine Kinder nickten Matiu und Katharina und gingen
auf die Holzveranda.
Paikea kam hinter ihnen her, stellte das Tablett mit den klirrenden
Eiswürfeln in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit auf den Beistelltisch und
drehte sich zu Katharina um. »Noch bevor ich anfange, eine Bitte: Nenne mich
Paikea. Miss Te Whia klingt für mich immer so, als würdest du mit meiner Mutter
reden.«
Katharina nickte nur. Sie war viel zu neugierig, wie die Geschichte
zwischen dem Pakeha und der selbstbewussten Maori-Frau gelaufen war.
»Gut«, begann Paikea. In wenigen Sätzen beschrieb sie ihre
Liebesgeschichte bis zu dem Punkt, an dem sie aus Christchurch geflohen war.
»Da saà ich also heulend in dem Zug. Mit einem dicken Bauch und der plötzlich
gewonnenen Erkenntnis, dass meine groÃe Liebe zu dieser fürchterlichen
Milkbar-Gang gehört hatte. Dass ich ihn schon nackt und besoffen unter der
Rennbahntribüne aufgestöbert hatte. Genau der Typ Mann, den ich niemals haben
wollte.« In der Erinnerung legte sie die Hand auf den Bauch und streichelte ihr
schon längtst geborenes Baby â so wie damals im Zug. »Ich habe die komplette
Strecke bis Kaikoura geheult. Dann, als der Zug in den Bahnhof eingelaufen ist,
habe ich aufgehört. Ich wollte meiner Mutter nicht auch noch einen Anlass für
ihre miesen Sprüche geben. Sie sollte nicht glauben, dass sie recht gehabt
hatte. Also bin ich in mein Zimmer gegangen, habe mich auf das Bett gelegt â
und mir überlegt, wie meine Zukunft aussehen könnte.« Sie lächelte schief.
»Leider endeten meine Ãberlegungen meistens damit, dass ich ohne einen Cent in
der Tasche mit einem schreienden Kind an der Hand bei meiner Mutter vor der Tür
stehen würde. Keine Aussichten, die mir gefallen hätten.«
Katharina rutschte auf den vorderen Rand ihres Sessels. Aus dem
Augenwinkel sah sie, dass Matiu ebenso gespannt auf die Fortsetzung wartete. Offensichtlich
hatte er diese Geschichte noch nie gehört. »Und dann?«, platzte es aus ihr
heraus. »Wie ging es weiter?«
Paikea zuckte mit den Schultern. »Ohne eine Lösung und ohne groÃe
Hoffnungen auf eine rosige
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