Der Gesang der Maori
als
junge Frau ein Zimmer gemietet hatte. In diesem Zimmer ist sogar meine älteste
Schwester zur Welt gekommen. Aber dann hat mein Vater das Grundstück gekauft
und angefangen, diesen Palast daraufzustellen. Er sagt immer, dass er sein
ganzes Leben von genau diesem Haus mit genau dieser Familie geträumt habe â¦Â«
Matiu lächelte versonnen. »Und genau das strahlt mein Vater bis heute aus: Er
ist sehr, sehr zufrieden mit seinem Leben.«
Katharina biss in einen frisch gegrillten Maiskolben. Die
Kräuterbutter lief ihr über das Kinn, während sie noch einmal in Richtung Meer
deutete. »Wenn das mein Ausblick wäre, dann wäre ich wohl auch zufrieden mit
meinem Leben. Ich wäre allerdings etwas häufiger zu Hause, als dein Vater es
offensichtlich ist â¦Â«
Matiu zuckte mit den Schultern. »Er hat ziemlich viel zu tun in
Christchurch. Er hat da einen Laden, der ganz gut läuft â¦Â« Er sah auf die Uhr.
»Aber jetzt sollten wir allmählich losgehen, wenn wir rechtzeitig zur
Sunset-Tour bei den Walen sein wollen.«
Katharina nagte hingebungsvoll die letzten Körner vom Maiskolben und
schnappte sich noch eines der leckeren Würstchen vom Grill. Diese Familie
machte aus dem abwesenden Vater ein Geheimnis, egal, wie geschickt man nach ihm
fragte. Also verlegte sie sich auf das Naheliegendere. »Wer verspricht mir,
dass es noch irgendwelche Reste von diesem Mais für mich gibt, wenn wir genug
Wale gesehen haben?«
Matiu lachte. »Ich!«
Das Boot von der Nachmittagstour war noch nicht zurück, als sie
ankamen. Katharina ging zielstrebig auf das blau gestrichene Haus zu, das
versprach, »alle Infos über Wale« gesammelt anzubieten. Matiu kam widerstrebend
mit. »Meine Mutter meint immer, dass wir in diesem Haus nur die Touristen
aufbewahren, bis das Wetter besser wird â¦Â«
»Und was hat deine Mutter damit zu tun?« Katharina wurde neugierig.
»Ich meine, sie mag doch Wale und so â dann müsste sie es doch toll finden,
wenn die Menschen heute die Wale nur noch ansehen und nicht mehr jagen wollen.«
»Sicher«, nickte Matiu. »Sie ist wohl wie wir alle von dem Erfolg
ein bisschen überrascht worden. Du weiÃt doch: Anfangs war es nur ein einziges
Boot, mit höchstens acht Sitzplätzen. Doch das hat schon nach wenigen Jahren
nicht mehr gereicht â und heute ist diese Art von Ãkotourismus die am
schnellsten wachsende Branche auf der kompletten Südinsel. Das kann schon erschreckend
sein.«
»Was meinst du mit âºwirâ¹, wenn du von den Waltouren sprichst?«
Katharina sah neugierig die Bilder an, die im kleinen Museumsraum hingen.
»Euren Stamm?«
Ihr Blick fiel auf eines der ersten Bilder in der Reihe, und sie
wurde bleich. »Das kann nicht wahr sein!«, murmelte sie leise und ging einen
Schritt näher zu dem Bild, um es genauer zu betrachten.
Es zeigte eine zierliche Frau mit funkelnden, dunklen Augen,
eindeutig Matius Mutter. Sie hielt einen groÃen, athletischen Mann im Arm, der
mit unverhohlenem Stolz auf sie herunterblickte. Ein Mann mit breiten
Schultern, einer leicht schiefen Nase, blonden Haaren â und unglaublich hellgrünen
Augen. Diese Augenfarbe hätte Katharina unter Hunderten erkannt. Sie deutete
auf sein Gesicht und drehte sich zu Matiu um. »Wer ist das?«
»Mein Vater!«, lieà der sie wissen. »Wie ich dir gerade eben
erklären wollte, ist das Walgeschäft nicht unbedingt Sache eines bestimmten
Stammes. Es ist eher das Geschäft meiner Familie. Meiner Mutter. Und auch
meines Vaters.« Er tippte auf das Foto. »Eben meiner Eltern.«
»Das ist der Mann, den ich die ganze Zeit suche!«, rief Katharina.
»Dein Vater ist John Cavanagh!«
»Das würde ich wohl wissen«, meinte Matiu. »Mein Vater heiÃt Erhardt.
Er hat deutsche Vorfahren, daher der Name. Und weil er und meine Mutter nie
geheiratet haben, heiÃen wir bis heute Te Whia. Was bringt dich auf die Idee,
dass mein Vater dein geheimnisvoller John Cavanagh ist?«
»Du hast mir nie ein Bild von ihm gezeigt!«, erklärte Katharina.
»Die Augen ⦠die erkenne ich unter Tausenden! Genau diese Farbe hat Sina. Und
ihre Tochter Ava auch. Und sie hat von der Beerdigung erzählt, dass John
ebenfalls diese Augen hat. Ganz hellgrün â oder hellblau. Wie das Meer an einem
Sommertag, diese Augen wechseln einfach die
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