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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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Brandon
redete, konnte sie es gar nicht vermeiden, alles zu hören.« Er lachte leise, während
er sich erinnerte. »So hat sie es mir gegenüber zumindest dargestellt. Ich
würde sagen, sie hat an der Tür gelauscht, aber das ist natürlich eine
bösartige Unterstellung. Auf jeden Fall hat sie so erfahren, dass George unser
Hausmädchen Ruiha noch an der Westküste vergewaltigt hat und dabei Ewan gezeugt
hat. Offensichtlich hat er alles abgestritten – und wurde erst leise, als
Brandon Beweise vorgelegt hat. Die Nachricht vom Tod von Ruiha hat ihn dann
richtig berührt. Mich auch, wenn ich ehrlich bin. Ich erinnere mich zwar nur
dunkel an sie, aber sie hat in der ersten Zeit, als ich ohne Mutter auskommen
musste, mein Leben erträglich gemacht. Es war immer nur Ruiha, die mich in den
Arm genommen hat und mich getröstet hat, wenn ich einsam war. Als sie auch noch
ging, war ich endgültig am Boden zerstört. Ich war damals einfach noch zu
klein, um zu begreifen, was da wirklich passiert ist. Was interessiert sich
denn ein Zweijähriger für den dicken Bauch und die Tränen seines Kindermädchens?«
Er zuckte mit den Schultern. »Es war mir ein Bedürfnis, bei Ruihas Beerdigung
anwesend zu sein. Es hat mich ja auch keiner erkannt. Nicht bei dem Haka, den
Brandon getanzt hat, und auch nicht bei den Reden, die geschwungen wurden.
Kritisch wurde es, als ich einen Moment lang die Sonnenbrille abnahm, um Sina genauer
anzuschauen. Ich habe natürlich das Gleiche gesehen wie George ein paar Monate
vorher: Sie sieht genauso aus wie meine Mutter! Diese Augen, diese Haarfarbe –
ich habe tatsächlich einen Moment lang geglaubt, sie wäre wieder in Neuseeland.
Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis mir klar wurde, dass es sich wohl um das
Mädchen handelte, von dem Fiona mir erzählt hat. Bis dahin hatte Sina mich
allerdings schon erkannt. Deine Freundin ist eine kluge Frau – ich konnte in
ihren Augen sehen, dass sie wusste, wer ich war. Was sollte ich tun? Mich
vorstellen? Nein. Ich habe meine Sonnenbrille aufgesetzt und bin so schnell wie
möglich gegangen. Das Risiko war zu groß, es hätte sein können, dass ich
erkannt wurde. Zum Glück war Sina von dem Tanz so sehr abgelenkt, dass sie
nicht darauf achtete, wohin ich ging. Nicht auszudenken, was passiert wäre,
wenn jemand meinem Auto gefolgt wäre!«
    Katharina schüttelte den Kopf. »Das hat niemand getan. Bis zu diesem
Zeitpunkt haben alle die Geschichte geglaubt, die Ewan und George verbreiteten:
Dass du dich quer durch den Pazifik säufst und nur hin und wieder Geld in
Christchurch nachforderst. Klang ja auch irgendwie einleuchtend.« Sie rutschte
auf die Stuhlkante und sah George neugierig an. »Aber was ist in der Zwischenzeit
passiert? Ich meine zwischen der Gründung von Fiona’s Foodmarket und jetzt?«
    John lächelte – und Katharina fiel jetzt mehr als zuvor auf, dass er
Sina unglaublich ähnlich sah. Für den alten George Cavanagh musste das Kind
eine ständige Mahnung an das gewesen sein, was er seiner Mutter angetan hatte.
»In der Zwischenzeit?«, sagte er langsam. »In der Zwischenzeit bekamen wir vier
weitere wunderbare Kinder. Paikea hat sich weiterhin geweigert, mich zu
heiraten. Ich wohnte weiterhin in Christchurch, und Paikea hat hier in Kaikoura
gelebt.«
    Â»Ihr seht euch seit fast vierzig Jahren nur am Wochenende?«, rief
Katharina aus. »Stört euch das denn nicht?«
    Â»Wir haben es uns ja nicht ausgesucht. John war erfolgreich in
Christchurch, ich habe hier unsere Kinder aufgezogen und wollte meine Familie
nicht im Stich lassen. Eine Stadt wie Christchurch ist mir einfach zu anonym …«
    Â»Und dann kamen die Wale!«, unterbrach John sie.
    Â»Ja«, nickte Paikea. »Die Wale … Ich habe es immer geliebt, ihnen
zuzusehen. Bin mit meinem Kanu raus aufs Meer gefahren und habe ihrem Atmen
zugehört. Die atemberaubende Schönheit ihrer Körper genossen – wenn die Fluke
hoch über dem Wasser steht, bevor sie in das Blau des Meeres abtauchen, das ist
doch einfach ein unvergesslicher Anblick. Ich habe ihnen erzählt, dass sie
nicht mehr gejagt werden, irgendwann in den Sechzigern, als der Walfang
eingestellt wurde. Und ich war nicht die Einzige, die den Walen und Delfinen
gerne zugesehen hat. Immer wieder hat mich ein Tourist gefragt, ob ich ihn mit
dem Kanu mit auf das Meer nehmen

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