Der Gesang der Maori
würde. Nur, um den Walen nahe zu sein. Einmal
habe ich jemanden mitgenommen â und der hat mir vor lauter Dankbarkeit hundert
Dollar gegeben! Ich habe das Geld genommen und habe mich wirklich gewundert,
dass ein bisschen Kanufahren irgendjemand so viel wert sein kann.
Als Matiu mich nicht mehr jeden Tag gebraucht hat â das war 1988,
er war fünfzehn â, habe ich mir überlegt, ob man die ganze Sache nicht etwas gröÃer
aufziehen könnte. Ich habe mich an ein paar Männer aus unserem Stamm gewandt,
die dringend Arbeit brauchten. Alle fanden die Idee gut: Touristen in ein Boot
packen und damit zu den Walen fahren. Wir fanden schnell einen Schuppen mit
einem verfallenen Landesteg â den konnten wir selbst herrichten. Aber ein
stabiles, groÃes Schlauchboot mit zwei Hochleistungsmotoren â das konnte sich
keiner von uns leisten. Die Bank erklärte uns schlicht für wahnsinnig. Wale
anschauen als Geschäftsidee? Ich erinnere mich noch genau an das mitleidige
Lächeln des Direktors. Er war der Meinung, dass Wale nur groÃe Fische sind, die
keinen Menschen interessieren. Die wenigen Verrückten, die sich diese Viecher
anschauen wollten, könnten sich ja einen privaten Führer mieten. Wir waren uns
aber sicher: Die Idee ist richtig. Und zum Glück war John auch dieser Meinung.
Er gab uns einen Privatkredit für unser erstes Boot.«
»Das Ding, mit dem wir vor ein paar Tagen rausgefahren sind!«,
ergänzte Matiu ihre Geschichte. »Ich war fast von Anfang an einer der
Bootsführer â¦Â«
Paikea nickte. »Ja. Irgendwann 1989 konnten wir
regelmäÃige Trips zur Walbeobachtung anbieten. Wir druckten ein paar Plakate,
hängten sie in Kaikoura am Bahnhof auf, legten in alle Hostels und Motels
unsere Werbezettel â und konnten uns vom allerersten Tag an keine Sekunde über
zu wenig Besucher beklagen. Unser kleines Schlauchboot war zweimal am Tag mit
Touristen gefüllt, freie Plätze waren eine Seltenheit. In dem alten Schuppen
haben wir ein kleines Walmuseum eingerichtet, den Steg haben wir vergröÃert â
irgendwann kam ein kleines Café dazu, wir haben auch bald ein gröÃeres Schiff
gebraucht â¦Â« Paikea lachte. »Bei diesem Kredit hat die Bank keine einzige
Minute gezögert. Miss Te Whia hier und Miss Te Whia dort. Die Medien haben über
uns berichtet â als den perfekten Trend für den modernen Ãkotourismus. Aus dem
verschlafenen Kaikoura wurde einer der Orte auf der Südinsel, bei denen jeder
Tourist vorbeikommt. Wir haben heute Hotels, Restaurants, Motels, Cafés, wo
früher nur eine langweilige Strandpromenade war. Die Maori aus Kaikoura
arbeiten zum gröÃten Teil bei den Whale Watching Tours, wir sind ein wichtiger
Arbeitgeber geworden.«
John legte ihr stolz die Hand auf die Schulter. »Was Paikea hier
verschweigt, ist die einfache Tatsache, dass sie bis heute die
Geschäftsführerin dieses Unternehmens ist. Das erklärt auch, warum sie Kaikoura
nicht verlassen will und kann. Und ich kann meinen Laden in Christchurch nicht
für längere Zeit allein lassen â obwohl Aihe mir inzwischen viel Arbeit
abnimmt!«
Katharina sah von einem zum anderen. »Das ist einfach unglaublich.
Ihr habt zwei supererfolgreiche Unternehmen â und die Cavanaghs haben nie entdeckt,
wer ihr wirklich seid?«
Paikeas Augen funkelten. »Ich habe nie meinen Nachnamen gewechselt.
Der alte George hat also keine Ahnung, wer der Vater meiner Kinder ist. Dabei
habe ich ihn kennengelernt â er hat mir schon Geschäftsleute geschickt, die er
von der Schönheit Neuseelands überzeugen wollte. Ich war jedes Mal
höchstpersönlich anwesend, habe alle betreut â und mir den alten Herrn genau
angesehen.« Sie schüttelte sich ein wenig. »Ein höflicher, gut aussehender
Mann. Aber im Umgang mit seinen Angestellten ist er eiskalt. Er ist immer nur
auf seinen Vorteil bedacht, achtet stets darauf, sich in eine stärkere Position
zu bringen. Ein gefährlicher Mann, der bestimmt mehr als ein Leben auf dem
Gewissen hat ⦠Wenn ich ehrlich bin, habe ich wenig Mitleid, wenn sein Leben
jetzt zu Ende geht.«
»Und jetzt?« Katharina sah ernst von Paikea zu John. »Bleibt ihr
jetzt weiter versteckt â oder helft ihr der kleinen Ava?«
»Ich hoffe, die Frage ist nicht ernst gemeint«, meinte Paikea.
»Selbstverständlich helfen wir. Das
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