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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Stück die Küste entlang nach Süden. Vermutlich um die Zeit einzuhalten, die für den Ausflug angesetzt war. Tiere sahen wir nicht mehr, bewunderten aber einstimmig die Schönheit der rauen Küste. Doch dann verschwand die Sonne auf einmal und die Wolken am Himmel wurden dichter. Die blauen Löcher zogen zu und es fing an, zu regnen. Wir stülpten unsere Kapuzen über die Köpfe und Papa brachte seine Kamera vor dem Regen in Sicherheit.
    Javids Onkel steuerte das Boot sicher zurück in den Hafen von Neah Bay, wo wir uns bei ihm für den gelungenen Ausflug bedankten und uns verabschiedeten.
    Das Ehepaar Austin hatte es eilig, ins Motel zurückzukommen. Die Bootstour war für die alten Leutchen wahrscheinlich anstrengend gewesen und nun wollten sie etwas essen und danach ein Mittagsschläfchen halten. Mein Vater offenbarte mir, dass er schon die ganze Zeit Zahnschmerzen hatte, die nun so schlimm geworden waren, dass er eine Schmerztablette nehmen musste.
    Â»Du hast gar nichts gesagt«, bemerkte ich vorwurfsvoll.
    Â»Ich dachte, es geht wieder weg. Der Zahn macht mir schon seit einiger Zeit Ärger.« Er drückte mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand und sagte: »Hier, du hast bestimmt Hunger. Vielleicht bekommst du im Supermarkt etwas. Kauf ruhig ein bisschen Obst ein und was zu knabbern, damit wir auch mal was für unterwegs dahaben.«
    Â»Und du?«, fragte ich.
    Er betastete vorsichtig seinen Unterkiefer. »Mir ist der Appetit vergangen. Ich lege mich im Motel ein bisschen hin.«
    Ich nahm das Geld und vor dem Motel trennten wir uns. Regen trieb mir ins Gesicht. Den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, lief ich die Hauptstraße von Neah Bay entlang. Es war nicht kalt, aber furchtbar nass. Ich dachte, dass dies vermutlich die dunkelste und feuchteste Ecke von ganz Amerika war. Ausgerechnet hierher hatte es mich verschlagen: an einen Ort am Ende der Welt!
    Zum Ausgleich war ich allerdings Javid begegnet und dem Ozean mit diesen wunderschönen, faszinierenden Geschöpfen, den Orcas. Ihre riesigen, glänzenden Körper mit den kräftigen Flossen gingen mir nicht aus dem Sinn, genauso wenig wie Javid Ahdunko.
    Â»Hey Copper«, rief auf einmal jemand hinter mir und ich drehte mich um, weil ich seine Stimme erkannte. Ich blickte über die Straße, um mich zu vergewissern, dass er tatsächlich mich meinte. Javid holte mich ein und grinste, die Hände tief in den Taschen seiner alten gelben Wetterjacke vergraben. »Wo willst du denn hin?«
    Â»Ich hab Hunger«, sagte ich, was sogar stimmte, und sah ihn an. Er hatte seine Baseballkappe jetzt richtig herum auf, damit das Schild ihm den Regen aus dem Gesicht hielt.
    Â»In Washburnes Supermarkt gibt’s was zu essen«, sagte er. »Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit.«
    Ich zuckte die Achseln. Es war eine einstudierte Geste, um meine Gefühle zu verbergen und noch unberührbarer zu scheinen, als ich es ohnehin schon war.
    Sollte das etwa ein Annäherungsversuch gewesen sein? Und wie hatte er mich gerade genannt? Copper? Kupfer. Keine Ahnung, ob er sich über meine roten Haare lustig machen wollte oder was auch immer es bedeutete. Es hatte nicht abschätzig geklungen, aber ich war aus Erfahrung misstrauisch. Wortlos lief ich weiter und Javid trabte neben mir her.
    Â»He«, sagte er, »du hast es aber eilig.«
    Â»Es regnet«, erwiderte ich.
    Â»Na und? Hier regnet es dauernd, aber niemand rennt deswegen.« Er breitete seine Arme aus wie Flügel.
    Ich lief ein bisschen langsamer.
    Â»Haben sie dir gefallen?«, wollte er wissen.
    Â»Wer?«, fragte ich.
    Ich hörte sein Seufzen. »Die Wale natürlich.« Er blieb stehen und hielt mich am Arm fest. »Hey, Copper, was ist eigentlich los mit dir?«
    Die Frage kam unerwartet. Schon lange hatte niemand mehr wissen wollen, was mit mir los war. Mir wurde eng in der Kehle und ich musste schlucken. »Ich heiße Sofie«, sagte ich und sah ihm in die Augen. Sie glänzten schwarz wie die Rückenflossen der Orcas und hielten meinem fragenden Blick stand.
    Â»Gefällt dir Copper nicht?«
    Â»Niemand mag es, wenn er verspottet wird«, antwortete ich.
    Nun blickte Javid überrascht. »Ich verspotte dich nicht. Mir gefallen deine Haare, sie glänzen wie flüssiges Kupfer. Ich habe noch nie jemanden mit solchen Haaren gekannt.« Er hob die Hand und griff nach einer

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