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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Strähne, die meinem Haarband entschlüpft war und unter der Kapuze hervorquoll. Als ich einen Schritt zurückwich, ließ er seine Hand wieder sinken.
    Â»Warum sollte ich dir glauben?«, fragte ich schroff.
    Javid runzelte die Stirn. »Weil ich kein Lügner bin.«
    Er klang so aufrichtig, dass ich mich plötzlich schämte. Ich sah weg. »Das habe ich ja auch nicht gesagt.«
    Â»Dann drück dich doch mal klar aus!«
    Stumm schüttelte ich den Kopf, aus Angst, das Falsche zu sagen. Ich fürchtete, er würde mich nun einfach im Regen stehen lassen und fortgehen.
    Aber Javid ging nicht. »Weißt du«, fing er an, als hätte er soeben beschlossen Geduld mit mir zu haben, »vor ein paar Jahren, ich war damals sieben oder acht, fuhren meine Eltern für zwei Tage in die Stadt und ich blieb bei meiner Großmutter. Sie wohnte in einem alten Haus am Strand. In der Nacht tobte ein gewaltiger Sturm und ich hatte große Angst. Um mich abzulenken, erzählte mir meine Großmutter die Geschichte von Kupferfrau, der ersten Frau, aus deren Bauch unsere Vorfahren kommen. Kupferfrau hatte grüne Augen und rotes Haar«, sagte er, »genau wie du. Und sie war unglücklich, weil sie sehr einsam war.«
    Ich stand da, mit Füßen schwer wie Blei, und lauschte auf das, was Javid mir auf dem nass glänzenden Asphalt der Hauptstraße von Neah Bay erzählte.Den Regen spürte ich nicht mehr, obwohl er kaum nachgelassen hatte. Noch nie hatte ich etwas so Schönes aus dem Mund eines Jungen gehört. Bisher hatte ich nicht gewusst, wie glücklich Worte machen können.
    Â»Großmutter sagte, die Weisheit eines Volkes müsse immer durch die Frauen überliefert werden«, fuhr er fort, »weil nur sie den Mut haben, sich an die Wahrheit zu halten.« Javid suchte nach meinem Blick. »Kupferfraus Töchter erkennt man an ihren Augen. Grüne Augen sind das Zeichen für eine alte Seele, die wiedergeboren wurde. Du hast wunderschöne grüne Augen, Copper.«
    Verlegen blickte ich auf meine Schuhe hinunter und wusste nicht, was ich sagen sollte. Javid legte seine Hand versöhnlich auf meine Schulter und meinte: »Na komm, ich denke, du bist hungrig.« Er zeigte auf den Parkplatz vor dem Supermarkt. »Wir sind gleich da.«
    Washburnes General Store war der einzige Supermarkt in Neah Bay, ein großer, kastenartiger Bau mit ausgeblichener Bretterverkleidung und einem betonierten Parkplatz davor. Zwei frisch bemalte Totempfähle standen zur Linken und zur Rechten des Einganges, wie Wächter mit aufgerissenen Augen und großen Zähnen.
    Javid holte einen Einkaufswagen und wir schoben ihn gemeinsam durch die Regalreihen der Markthalle. Hier gab es neben Lebensmitteln auch einiges, was man sonst noch täglich brauchte, wenn man in einem Ort wie Neah Bay wohnte: jede Menge Angelbedarf, Spielzeug für kleine Kinder und Kleidungsstücke für jedes Alter. Da war ein ganzes Sortiment an wetterfester Kleidung, von Regenjacken über Gummihosen bis zu verschiedenen Gummistiefeln und -schuhen.
    Es gab auch eine kleine Ecke mit Schulbedarf und in der entdeckte ich eine Packung mit Tubenfarben, die vermutlich schon ewig dort lag. Ich öffnete die Schachtel und testete, ob die Farben in den Tuben noch weich waren, dann legte ich sie in den Wagen.
    Â»Das ist Farbe«, sagte Javid mit einem verwunderten Lächeln. »Davon wirst du nicht satt.«
    Â»Vielleicht doch«, erwiderte ich und übernahm das Kommando über den Einkaufswagen, um ihn zu den Regalen mit den Lebensmitteln zu schieben.
    Ich suchte ein paar Snacks aus und ließ mich dabei von Javid sachkundig beraten (er wusste, was zu süß war), dann legte ich eine Tüte Äpfel dazu. Das übrige Obst sah nicht mehr besonders appetitlich aus und ich hatte das Gefühl, alles roch irgendwie nach Tang und Fisch.
    An der Kasse saß eine junge Indianerin. Sie musterte Javid und mich neugierig und hätte sicher gerne gewusst, wer ich war. Der spöttische Ausdruck in ihrem Gesicht entging mir nicht. Was hatte er zu bedeuten? Lachte sie über mich oder über Javid? Was wusste ich schon über ihn? Gar nichts. Außer dass er verdammt gut aussah und sicher enorme Chancen bei sämtlichen Mädchen von Neah Bay hatte. Warum gab er sich dann eigentlich mit mir ab? Bloß weil ich rote Haare hatte und grüne Augen? Vielleicht war ich naiv, dämlich war

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