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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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starrte sprachlos auf die glänzenden Körper dieser schönen Tiere. Sie waren schwarz, Brust und Kinn weiß wie Schnee und hinter den Augen hatten sie diesen länglichen weißen Fleck, der ihre Art unverkennbar machte.
    Â»Da siehst du es«, sagte Javid dicht an meinem Ohr. »Männchen haben eine viel größere Rückenflosse als Weibchen. Außerdem ist die der Männchen gerade und die der Weibchen leicht gebogen. Daran kann man sie unterscheiden.«
    Er war mit seinem Gesicht so nah an meinem, dass ihn meine Haare kitzeln mussten. Ich hatte sie zwar heute im Nacken mit einem Haarband zusammengenommen, aber in der feucht-salzigen Luft auf dem Wasser kringelten sie sich wieder ganz furchtbar.
    Ich hielt den Atem an, weil ich solche Nähe nicht gewohnt war.
    Mrs Austin klammerte sich mit einer Hand an die Reling, mit der anderen versuchte sie ihre Brille von den feinen Salzkristallen zu befreien, die sich auf den Gläsern abgelagert hatten und ihr die Sicht nahmen. »Haben Orcas eigentlich natürliche Feinde im Meer?«, fragte sie mit krächzender Stimme.
    Soones schüttelte den Kopf. »Nein Ma’am, nicht umsonst werden sie Killerwale genannt. Sie sind die Herrscher des Ozeans und gehören zu den mächtigsten Raubtieren der Erde. Manchmal nehmen sie es sogar mit Blauwalen auf, obwohl die so viel größer sind als sie selbst. Sie umzingeln den Blauwal und fressen ihm Stücke aus dem Leib, bis sie satt sind. Orcas fürchten sich vor nichts und niemandem. Nur der Mensch kann ihnen gefährlich werden.«
    Ich versuchte mir das bildlich vorzustellen, während mein Vater unter halsbrecherischen Verrenkungen noch ein paar Fotos schoss. Nun wollte er wissen, wieso diese Gruppe so klein war, wo er doch von Rudeln bis zu 80 Tieren gehört hatte.
    Â»Wale in so großen Rudeln nennt man Residents , sagte Javids Onkel. »Diese hier sind Transients ,was so viel wie Durchreisende bedeutet. Früher dachten die Leute, es würde sich bei diesen kleinen Gruppen um Ausgestoßene handeln, aber inzwischen weiß man, dass es geschickte Jäger sind, die neben Fischschwärmen auch noch andere Beute bevorzugen. Sie machen Jagd auf Robben und Seelöwen und manchmal sogar auf Großwale. Grauwalzungen sind Leckerbissen für Orcas.«
    Er sagte das ganz ungerührt, aber Mrs Austin verzog angewidert das Gesicht. »Welche Leckerbissen bevorzugen sie denn außerdem?«, fragte sie pikiert.
    Zum ersten Mal lachte Henry Soones und nun entdeckte ich in seinem Gesicht auch eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Schwester Freda. »Keine Angst«, beruhigte er die alte Frau. »Es ist bis heute kein Fall bekannt, dass ein Mensch von einem frei lebenden Orca angegriffen wurde. Wahrscheinlich schmecken wir ihnen nicht.«
    Für Mrs Austin schien das nur ein kleiner Trost zu sein und sie war sichtlich erleichtert, als die Wale sich sammelten und vom Boot wegschwammen.
    Javid grinste kopfschüttelnd. »Für ihre Speisekarte taugen wir nicht und langweilig finden sie uns auch noch.«
    Ich sah den Orcas nach, die sich schnell entfernten und dabei ihre Schwimmflossen in erstaunlich gleichen Abständen aus dem Wasser zogen. Alles war so schnell gegangen.
    Javid saß jetzt neben mir auf der Bank. Sein Arm berührte meinen und ich wagte kaum mich zu bewegen, damit es ihm nicht bewusst wurde. Ich fand es schön, ihm so nahe zu sein und seine Wärme zu spüren. Zu Hause in der Schule rückten immer alle von mir ab, wenn ihnen klar wurde, dass sie mich unbeabsichtigt irgendwo berührten. Ich hatte keinen unangenehmen Körpergeruch, das hatte ich eingehend ausgetestet. Es musste an etwas anderem liegen. Als ob sie Angst vor mir hatten. Vor etwas, das ich in ihren Augen ausstrahlte und das sie nicht benennen konnten.
    Es hatte keinen Punkt in meinem Leben gegeben, an dem ich mir gesagt hatte: »Okay Sofie, von nun an bist du anders als alle anderen!« Es war einfach so gekommen und eigentlich hatte ich keine wirklichen Probleme damit gehabt, bis Mama starb.
    Aber nun saß Javid Ahdunko neben mir und ich spürte die Wärme seines Körpers durch unsere Sachen hindurch. Eines Tages würde auch für mich jemand da sein, dachte ich. Jemand, mit dem ich über alle meine Gedanken reden konnte, auch über das, was mich so traurig machte.

5. Kapitel
    H enry Soones warf den Motor der Victoria wieder an und fuhr mit uns noch ein

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