Der Gesang der Orcas
sich vor Aufregung.
»Deinem Vater wird das sicher nicht gefallen«, warf Javid zögernd ein.
»Er muss es ja nicht wissen.« So einfach setzte ich mich über unsere Abmachung hinweg.
Javid sprang auf. »Okay, dann lass uns gleich hinausfahren. Das Wetter ist schön und das Meer so ruhig wie selten. Morgen kann es schon ganz anders aussehen.«
Sein spontaner Entschluss kam etwas überraschend für mich. Aber ich wollte mich nicht drücken, bloà weil es vielleicht gefährlich war. Würde ich jetzt einen Rückzieher machen, stand ich als Feigling da, das war schon mal klar. Und vielleicht ergab sich die Gelegenheit nie wieder.
»Okay«, sagte ich.
Wir packten zusammen und liefen an den anderen vorbei zum Auto zurück. Als wir in den Pick-up steigen wollten, hielt ein riesiges Gefährt neben uns. Es war ein alter blauer Thunderbird, verbeult und rostig wie die meisten Indianerautos und doch fahrtüchtig. Javids Kusine Alisha stieg aus und ein junger Mann mit ganz kurz geschnittenem Haar und einem langen dünnen Zopf am Hinterkopf. Er grinste Javid an und pfiff durch die Zähne.
»Wohin des Wegs, Bruder?«, fragte er. »Jetzt, wo wir kommen, haust du ab?«
»Hallo Tyler«, erwiderte Javid. »Schön, dass du wieder im Lande bist. Wie läuftâs denn so an der Uni?«
»Ganz okay. Die Lehrer machen es einem leicht, weil sie denken, der Verstand von uns Naturkindern ist etwas schwerfälliger als der von zivilisierten Menschen. Aber die Mädels stehen auf braune Haut und Zopf.« Er schüttelte den Kopf, worauf ihm die dünne Haarschnur um die Ohren flog. Alisha im Arm, warf er Javid einen spöttischen Blick zu. »Mich lässt das natürlich vollkommen kalt, alter Junge. Ich bin nicht wild auf weiÃe Mädchen.«
Dieser Seitenhieb saÃ.Mir wurde ganz elend zu Mute und ich stieg in den Pick-up. Bisher hatte ich geglaubt, rassistisch zu sein wäre eine Eigenschaft, die allein den WeiÃen auf dieser Welt vorbehalten war. Nun war ich eines Besseren belehrt worden.
Alisha verdrehte die Augen und Javid schüttelte traurig den Kopf. »Sehen wir uns später?«, fragte er.
Tyler schlug mit einer Hand auf das heiÃe Wagenblech. »Klar, Mann, ich komme vorbei.«
Auf dem kurzen Weg in die Siedlung Waatch, wo Javid seinen Schuppen hatte, redeten wir kein Wort miteinander. Vielleicht schämte er sich für das, was dieser Tyler gesagt hatte. Aber wenn es so war, dann lieà er es mich nicht spüren. Und ich war irgendwie verstimmt, weil er mich nicht verteidigt hatte. Er war ja sonst nicht auf den Mund gefallen.
Javid parkte den Pick-up neben dem Schuppen, und als ich aussteigen wollte, hielt er meine Hand fest. »Bist du jetzt sauer?«, fragte er.
Stumm schüttelte ich den Kopf. Ich wusste auch nicht, warum ich es nicht zugab.
»Bist du doch.«
»Worin unterscheiden sich weiÃe Mädchen von indianischen Mädchen?« Ich zog meine Hand weg.
Javid zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Tyler findet weiÃe Mädchen öde, aber ich weià nicht, ob er jemals wirklich mit einer befreundet war. Allerdings ist er ein ziemlicher Schwerenöter und ich wollte in Alishas Gegenwart keine Diskussion mit ihm über dieses Thema anfangen. Sie hat ihn nämlich wirklich gern und es ist schwer für sie, dass er so lange Zeit weg sein wird.«
Ich lieà mir das schweigend durch den Kopf gehen. »Findest du weiÃe Mädchen auch öde?«, fragte ich schlieÃlich.
»Ich kenne nicht viele.« Er wich einer klaren Antwort aus.
»Warum bist du mit mir hier, Javid?«
Sein Gesicht war undurchschaubar und seine schwarzen Augen ruhten auf mir wie glänzende Murmeln. »Weil du die Wale sehen willst, Copper. Deshalb sind wir hier. Und wenn ich dich öde finden würde, hättest du das längst gemerkt.« Er stieg aus, ging um die Motorhaube herum und öffnete meine Tür. Dabei machte er eine tiefe Verbeugung und eine einladende Handbewegung.
Während Javid den Schuppen aufschloss, erzählte er mir von seinem Freund Tyler McCarthy. Dass Tyler drei Jahre älter war als er und seit einem Jahr auf die Universität in Seattle ging. »Tyler studiert Forstwissenschaft und er hat auch das Zeug dazu. Er ist ein schlauer Bursche. Zwar hat er manchmal etwas verschrobene Ansichten und benimmt sich furchtbar groÃspurig, aber ich mag ihn gern. Er ist mein bester
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