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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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und wir stiegen aus. Das sattgrüne Ufer des Waatch River war gefleckt von bunten Handtüchern und Patchworkdecken einzelner Grüppchen, die im Fluss badeten. Nun wusste ich wenigstens, wo die jungen Leute aus Neah Bay ihre Ferien verbrachten. Sie gingen ins Schwimmbad, wie die Menschen überall auf der Welt das an einem so heißen Tag auch taten. Es ist eigenartig, dachte ich. Die Unterschiede fallen immer zuerst auf. Die Gemeinsamkeiten werden einem erst später klar.
    Die meisten Jugendlichen lagerten dicht gedrängt um eine kleine Holzbrücke herum, von der sie mit Geschrei ins Wasser sprangen. Obwohl auch hier niemand Notiz von uns zu nehmen schien, spürte ich, dass wir in Wahrheit sehr wohl beobachtet wurden. Besonders von den Mädchen. Deshalb war ich sehr froh, als Javid uns ein Plätzchen etwas abseits von der Brücke suchte. Hier und da winkte ihm jemand zu, aber man schien zu respektieren, dass wir allein sein wollten.
    Javid breitete die bunte Decke auf die Wiese und ließ seine Kleider fallen, wo er stand. Als er nur noch seine schwarzen Shorts trug, wurde mir bewusst, warum meine Vater solche Befürchtungen hatte. Javid war keiner von den dürren Jungs mit fettigen Haaren und dicken Knien, die in seinem Alter noch so uneins waren mit ihren Körper. Er war einen Kopf größer als ich, gerade gewachsen und mit ernst zu nehmenden Muskeln unter der dunklen Haut. Die hatte er vermutlich vom Mülltonnenstemmen bekommen.
    Seine olivbraune Haut war überall glatt – wie die Schale von Haselnüssen. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn fasziniert anstarrte.
    Â»Was ist?«, fragte er ungeduldig. »Willst du nicht ins Wasser?«
    Â»Doch.« Ich zog mein Kleid über den Kopf und er sah mich einen Augenblick mit regloser Mine an. Mein Badeanzug war einfarbig taubenblau und ich wünschte, ich hätte damals einen anderen gekauft, einen bunten, der etwas mehr von dem ablenkte, was darunter war. Oder besser: was nicht darunter war.
    Javid fragte: »Hast du eigentlich heute schon was gegessen?«
    Natürlich. Das war seine Art, zu sagen, dass mir ein bisschen mehr Fleisch auf den Rippen ganz gut stehen würde. Ich wusste selbst, dass ich aussah, als wäre ich magersüchtig. Aber das stimmte nicht. Ich aß,aber irgendwie blieb ich dünn. Vielleicht verbrannte die Sehnsucht meine ganzen Energien.
    Â»Muschelsuppe«, sagte ich.
    Â»Kein Wunder«, brummelte Javid,nahm meine Hand und zog mich zum Wasser. Er sprang hinein und nahm mich in seinem Flug mit. Ein kleiner Schrei flog aus meiner Kehle, als wir ins kühle Nass tauchten. Der Fluss war nicht tief, aber voller Fische, das Wasser leicht salzig und erfrischend. Wir schwammen nebeneinander her, noch ein Stück weiter weg von den anderen.
    Javid war viel schneller als ich und irgendwann drehte er sich zu mir um und sah mich an. Ich schwamm ihm entgegen, bis meine Augen seinem schwarzen Blick begegneten, in dem etwas lauerte, das ich nicht benennen konnte.
    Verunsichert hielt ich inne, als er schon mit langen Zügen auf mich zukam und mich plötzlich schnappte, als wäre er Sisiutl, das Ungeheuer des Meeres. Mit seinem Körper schob er mich an den Rand des Flusses und drückte mich gegen das hohe Ufer. Ich japste verblüfft. Das war etwas ganz anderes als ein flüchtiger Kuss. So nah war ich noch nie einem Jungen gewesen und vor Schreck blieb mir die Luft weg.
    Â»Gibt es zu Hause in deiner Stadt einen Jungen, den du magst?«, fragte er unvermittelt und mit Nachdruck.
    Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    Â»Krieg ich dann einen Kuss?«
    Ich warf einen Blick über seine braunen Schultern und merkte, dass die anderen uns nicht sehen konnten, weil der Fluss eine leichte Biegung machte. Javid näherte sich mir immer nur dann auf diese Weise, wenn wir allein waren. »Warum?«, fragte ich spitz, weil ich nicht wusste, was er damit bezweckte. Außerdem hatte ich Angst, er könnte merken, wie unbeholfen ich mich anstellte.
    Er rückte ein Stück von mir ab, ließ mich aber noch nicht los. »Warum?«, wiederholte er meine Frage stirnrunzelnd, einen Anflug von Enttäuschung im Gesicht. »Weil von dir nichts kommt, Copper. Du machst alles, was ich dir sage, aber ich weiß nicht, was wirklich in deinem Kopf vorgeht. Willst du mich denn überhaupt?«
    Ihn wollen? Was meinte er damit? Das Gefühl der Enge in meiner Brust

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